Tilman Zülch
Tilman Zülch wurde am 2. September 1939 in Deutsch-Libau im Sudetenland geboren. Der Völkermord in Biafra 1968 brachte den Studenten der Volkswirtschaft und Politik in Hamburg dazu, sich der Probleme Völkermord, Vertreibung und Rassismus anzunehmen. 1970 ging aus der Aktion Biafrahilfe die internationale Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker hervor, die seit 1993 beratenden Status beim Wirtschafts- und Sozialrat der Vereinten Nationen hat. Die Gesellschaft setzt sich für verfolgte und bedrohte ethnische und religiöse Minderheiten, Nationalitäten und Ureinwohnergemeinschaften ein. Gemäß der Leitlinie „Auf keinem Auge blind“ ergreift die Organisation immer Partei für die Opfer von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und nennt die Täter und ihre Helfershelfer schonungslos beim Namen.
Bei dem Aufbau der damals jungen Bürgerrechtsbewegung der deutschen Sinti und Roma im Jahre 1979 kam der Gesellschaft für bedrohte Völker eine wichtige Rolle zu. Bis zu diesem Zeitpunkt war vor ihr keine andere Organisation dazu bereit gewesen, auch keiner der Verbände, die in Deutschland eigens für die Aufarbeitung der Vergangenheit oder für die KZ-Gedenkstättenpflege gegründet wurden. Im Herbst 1978 führten die Kontakte des „Verbandes Deutscher Sinti“ und der „Internationalen Romani Union“ zur Gesellschaft für bedrohte Völker erstmals zu einer systematischen Öffentlichkeitsarbeit für die Bürgerrechte der Sinti und Roma in der Bundesrepublik. Mit ihren Erfahrungen in der Arbeit für Minderheiten schafften die Mitarbeiter der Menschenrechtsorganisation zunächst den Sprechern der Sinti und Roma und ihren Organisationen ein erstes Forum, damit sie endlich in der Öffentlichkeit Gehör fanden.
In enger Abstimmung mit der Gesellschaft für bedrohte Völker machten ab Herbst 1979 der Verband Deutscher Sinti und weitere neu entstandene regionale Organisationen unter Einschaltung von Presse, Rundfunk und Fernsehen auf den vergessenen Holocaust und auf gravierende Fälle behördlicher Rassendiskriminierung und auf fortgesetztes Unrecht immer deutlicher aufmerksam. Im September 1979 gab Tilman Zülch für die GfbV den Sammelband „In Auschwitz vergast, bis heute verfolgt“ heraus, der damals zum wichtigsten Buch für den Beginn der Bürgerrechtsarbeit der deutschen Sinti und Roma in der Bundesrepublik wurde.
Besondere historische Bedeutung hatte die gemeinsam mit der GfbV veranstaltete erste internationale Gedenkkundgebung für die 500 000 von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma im ehemaligen KZ Bergen-Belsen. Bei dieser Kundgebung sprach auch die damalige Präsidentin des Europaparlaments, Simone Veil, die als Jüdin selbst Überlebende des KZ Bergen-Belsen ist. Von dieser Veranstaltung ging die Forderung an die Bundesregierung zur Anerkennung des Völkermordes und der Entschädigung für die Überlebenden aus. Simone Veil wurde 2010 für ihre Verdienste im Kampf um die Rechte der Sinti und Roma mit dem Europäischen Bürgerrechtspreis der Sinti und Roma ausgezeichnet.
Ein weiterer Meilenstein auf dem Weg zu gesellschaftlicher Anerkennung war der dritte Roma-Weltkongress von 1981 mit 300 Teilnehmern aus 21 Staaten. Durch die organisatorische Mitwirkung der Gesellschaft für bedrohte Völker gelang es der Sache der Sinti und Roma Gehör zu verschaffen, da auf dem Kongress in Göttingen Simon Wiesenthal, Heinz Galinski und weitere Gäste international in den Medien beachtete Reden hielten.
Tilman Zülch und die Gesellschaft für bedrohte Völker waren immer auch die wichtigsten Fürsprecher und politischen Kämpfer für die Menschenrechte der Roma-Minderheiten im Kosovo und in anderen von Bürgerkriegen betroffenen Teilen Südost-Europas. Nachdem im Kosovo nahezu die gesamte Romabevölkerung ebenso vertrieben wurden wie die den Roma zugerechneten Aschkali und Ägyptern, war es zuallererst die Gesellschaft für bedrohte Völker, die die Vertreibung in der Folge dokumentierte. Auch zuvor hatte Tilman Zülch immer wieder auf die Lage der Roma während der Kriege in Bosnien-Herzegowina und in Serbien aufmerksam gemacht.
Sonderpreisträger Amaro Drom e.V.
Im Rahmen des Europäischen Bürgerrechtspreises der Sinti und Roma vergibt die Manfred Lautenschläger Stiftung zusammen mit den Jurymitgliedern einen Sonderpreis. Mit dieser Auszeichnung, die mit einer Summe von 5000 Euro dotiert ist, werden Angehörige der Minderheit für ihr Engagement und ihren Mut bei den Bemühungen für eine gesellschaftliche Gleichstellung von Sinti und Roma geehrt.
Amaro Drom ist ein interkultureller Jugendverband von Roma und Nicht-Roma mit dem Ziel, jungen Menschen durch Empowerment, Mobilisierung, Selbstorganisation und Partizipation Raum zu schaffen, um aktive Bürgerinnen und Bürger zu werden. Als junge Roma und nicht-Roma übernehmen die Mitglieder gemeinsam Verantwortung in der Gesellschaft für Achtung und gegenseitigen Respekt. Die Arbeit des Verbands trägt dazu bei, dass sich die Kinder und Jugendlichen zu kritikfähigen, verantwortungsbewussten, Verantwortung übernehmenden und bewusst handelnden Persönlichkeiten entwickeln können. Voraussetzung dafür ist eine Erziehungsarbeit, die den Menschen in seiner Würde und Freiheit in den Mittelpunkt stellt.
In Romanes heißt Amaro Drom „unser Weg“. Der Name wurde gewählt, weil die interkulturelle Jugendselbstorganisation junge Menschen zusammenbringt, um sich mit ihnen gemeinsam „auf den Weg“ zu machen. Denn nur in der direkten Begegnung und im Dialog kann es gelingen, gemeinsam Vorurteile abzubauen.Die Arbeit des Verbands soll insbesondere dazu beitragen, dass sich die Kinder und Jugendlichen zu kritikfähigen, verantwortungsbewussten, Verantwortung übernehmenden und bewusst handelnden Mitbürger(inne)n unserer Gesellschaft entwickeln können. Voraussetzung dafür ist eine Erziehungsarbeit, die den Menschen in seiner Würde und Freiheit in den Mittelpunkt stellt. Er will die Belange, Anliegen und Interessen von Kindern und Jugendlichen deutlich machen und vertreten.