Der Zentralrat und das Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma luden am 26. Juni unter der Überschrift „Neuer Nationalismus in Europa. Gefahren für Minderheiten und Demokratie“ zur öffentlichen Gesprächsrunde mit Vertretern des Europarats und der OSZE. Deutlich wurde, dass die Hassrede im Netz politische Institutionen und zivilgesellschaftliche Gruppen gleichermaßen vor neue Herausforderungen stellt.
Überall in Europa gewinnen rechte und nationalistische Kräfte an Bedeutung. Vor allem Minderheiten, wie Sinti und Roma, wird dabei ein Daseinsrecht und die gesellschaftliche Teilhabe abgesprochen. Bisweilen schlägt sich die rechtspopulistische Rhetorik in staatlicher Repression, Ausgrenzung und rassistischer Gewalt gegen Angehörige von Minderheiten nieder. Vor diesem Hintergrund stellte die Moderatorin Dr. Birgit Hofmann (Arbeitsbereich Minderheitengeschichte und Bürgerrechte in Europa) die Gesprächspartnern auf dem Podium vor die Fragen: Was wird und was muss noch getan werden, um die Minderheitenrechte und die demokratischen Werte Europas zu wahren?
Der Direktor des OSZE Büros für demokratische Institutionen und Menschenrechte, Michael Georg Link, sowie Thorsten Afflerbach, Leiter des Arbeitsstabs beim Sonderbeauftragten für Roma-Fragen des Generalsekretärs des Europarats, waren sich einig, dass insbesondere die Rechtsprechung im Rahmen internationaler Verpflichtungen den Minderheitenschutz garantiere. Der Erfolg der rechtlichen Grundlage hänge zugleich von zahlreichen Akteuren ab und sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Als OSZE Vertreter beobachtet Link vermehrt, dass rechtspopulistische Parteien und einzelne Regierungen in Europa diese Minderheitenrechte in Verlautbarungen bewusst überschreiten. Erst wenn diese Vorfälle deutlich kritisiert würden, werde im Anschluss öffentlich zurückgerudert – die Grenzüberschreitung bleibe dennoch stehen. Schlichte Möglichkeiten über solche Vorfälle zu berichten, könnten helfen diesem Vorgehen gegenüber Druck aufzubauen. Neben den europäischen Institutionen, seien hier aber auch zivilgesellschaftliche Akteure gefragt, so Link.
Neue Herausforderungen sieht der Europaratsvertreter Thorsten Afflerbach bei den Themen „Hate Speech“ und „Hate Crime“. Die vom Europarat ausgehenden Projekte setzen darauf möglichst früh zu intervenieren. Im sogenannten „No Hate Speech Movement“ sollen insbesondere Jugendliche angespornt werden, sich aktiv gegen diese Form des Rassismus im Netz einzusetzen.Der Direktor des OSZE Büros betonte: Diese neue Form der rassistischen Hetze dürfe nicht folgenlos bleiben. Eine der größten Herausforderungen sei die Abwägung konkurrierender Grundrechte, wie die freie Meinungsäußerung und das Versammlungsrecht gegenüber dem Schutz vor rassistischer Diskriminierung.
Einen gefährlichen Trend der letzten zehn Jahre sieht Link darin, dass Institutionen gezielt unterschiedliche Gruppen wie Migranten, Asylbewerber, Flüchtlinge und Roma gegeneinander auszuspielen versuchen. So suggerierten öffentlich platzierte Schilder in Ungarn beispielsweise, dass Flüchtlinge nicht aufgenommen werden können, da zunächst Roma in die Gesellschaft integriert werden müssten. Roma werden somit als nicht integraler Bestandteil der Gesellschaft abgewertet. Solche Vorfälle reihen sich ein in ein langlebiges Narrativ, das den seit Jahrhunderten in den jeweiligen Nationalstaaten beheimateten Roma und Sinti eine Außenseiterposition als vermeintlich „Fremde“ zuspricht. Ein positives Signal hierzu habe die Eröffnung des Europäischen Roma Instituts für Kunst und Kultur (European Roma Institute for Arts and Culture) am 8. Juni in Berlin gesetzt, betonte Afflerbach. Das Institut wurde gemeinsam vom Europarat, von der Open Society Foundations und von einer Allianz von Sinti und Roma Aktivist*innen gegründet. Die Realisierung des Projekts war auch ein persönliches Anliegen des Generalsekretärs des Europarats, Thorbjørn Jagland.
Als greifbares und wichtiges Ziel im Kampf gegen Antiziganismus stehe nun die Realisierung einer Expertenkommission zum Thema Antiziganismus im Deutschen Bundestag an, erklärte Romani Rose. Zwar gab es inzwischen unterstützende Signale aller Fraktionen im Deutschen Bundestag, jedoch fehlt bisher eine öffentliche Willensbekundung der Regierungskoalition. Er wäre froh, so Link, wenn diese Expertenkommission eingesetzt werde. Die Erfahrungen der äquivalenten Kommission zum Antisemitismus in Deutschland habe gezeigt, dass solche Gremien durchaus neue Erkenntnisse für Politik und Gesellschaft erarbeiten können.
Das Forum für die Gesprächsrunde bot der Rektor der Universität Heidelberg, Prof. Dr. Dr. h.c. Eitel. Ende Juli 2017 wird die Forschungsstelle Antiziganismus am Historischen Seminar der Universität Heidelberg eröffnet.