Das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma trauert gemeinsam mit dem Zentralrat um die ukrainische Holocaust-Überlebende Raisa Nabaranchuk, die im Alter von 80 Jahren in Freiburg verstorben ist.
Die 1943 im von den Nationalsozialisten besetzten Kiew geborene Romni gehörte zu den ersten Überlebenden der NS-Verfolgung, die von einem Hilfsnetzwerk unterschiedlicher Organisationen kurz nach Beginn des russischen Angriffskrieges evakuiert werden konnten. Mit ihren beiden Schwestern sowie weiteren Angehörigen gelang ihr die Flucht aus ihrer Heimat nach Freiburg.
Mitglieder ihrer Familie gehörten zu den Opfern und Überlebenden von Massenerschießungen in der Nähe von Kiew. Am 29. und 30. September 1941 ermordeten die Deutschen und ihre Kollaborateure fast 34.000 jüdische Kinder, Frauen und Männer in der Schlucht von Babyn Jar. Auch Roma wurden dort getötet. Der Vater von Raisa Nabaranchuk wiederum kämpfte im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Roten Armee.
Die überwiegende Zeit ihres Lebens arbeitete Raisa Nabaranchuk als Friseurin – ein Beruf, der in ihrer Familie über mehrere Generationen ausgeübt wurde. In den 1960er Jahre begann sie zudem zu schreiben, zunächst lediglich als Hobby. Erst eine Verwandte ermutigte sie 1990, einige ihrer Texte zu veröffentlichen. Bekannt wurde insbesondere der unter dem Pseudonym Rani Romani publizierte Gedichtband „Meine lieben Menschen, an euch richten sich meine Worte“.
In den letzten Jahren hat sich Raisa Nabaranchuk aktiv für das Gedenken an den Völkermord an den Roma in der Ukraine eingesetzt. Sie hat nicht nur an den Romani-Studies-Programmen an den Universitäten von Kiew und Tschernihiw teilgenommen, sondern die Roma-Community auch im In- und Ausland vertreten.
Zum 2. August 2022 hat Raisa Nabaranchuk beim virtuellen Gedenken des Dokumentations- und Kulturzentrums aus Anlass des Internationalen Holocaust-Gedenktages für Sinti und Roma von ihrer Großmutter berichtet, die von den deutschen Besatzern ermordet wurde. Erzählt hat sie zudem von den russischen Bombenangriffen und den bangen Stunden im Luftschutzkeller:
„In Kiew selbst gab es nichts, nur die Umgebung wurden bombardiert. Wir waren im Keller unter dem Hochhaus. In der Wohnung waren wir nicht sicher, und fühlten uns die ganze Zeit über ängstlich. Wir danken den Nachbarn, dass sie uns mit in den Keller mitgenommen haben. Trotzdem hatten wir Angst. Du weißt nicht, wohin die nächste Rakete kommt.“
Im Gespräch hat sie damals so sehr gehofft, schon Weihnachten wieder bei ihrer Familie in der Heimat zu verbringen. Dieser Wunsch sollte sich angesichts der anhaltenden Angriffe auf die Ukraine nicht erfüllen.