Die französische Publizistin, ehemalige französische Ministerin und ehemalige Präsidentin des Europäischen Parlamentes, Simone Veil, verstarb am Freitagmorgen im Alter von 89 Jahren. Der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma trauert um diese herausragende Persönlichkeit des politischen Lebens in Europa.
Bereits 1979, noch vor ihrem offiziellen Antrittsbesuch in Deutschland, nahm Simone Veil in ihrer Funktion als Präsidentin des Europäischen Parlaments an der Gedenkkundgebung der Sinti und Roma im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen teil. In ihrer Rede betonte sie ihre uneingeschränkte Solidarität gegenüber den Sinti und Roma und ihre „besondere Treue gegenüber allen Opfern der Nazi-Gräuel“. Simone Veil sagte damals in ihrer Rede:
„Wie kann man sich vorstellen, daß ich nicht kommen würde … wenn man weiß, daß wir zusammengelitten haben, daß wir zusammen unsere Toten beweint haben, die in den Krematorien verbrannt wurden, wenn wir wissen, daß die Asche aller unserer Eltern vereint ist“, und daß sie glaube, „wir haben nicht immer genügend Solidarität gefühlt, diese Solidarität des gemeinsamen Unglücks. Jeder weiß, daß wir in den Lagern – und das ist wahrscheinlich ein Sieg der Nazis – getrennt unser Schicksal gelebt und oft auch getrennt gelitten haben.“
Den Kampf der Sinti und Roma um ihre Anerkennung als Opfer der rassenideologischen Verfolgung durch die Nationalsozialisten bezeichnete Veil als fundamentalen „Kampf für die Menschenrechte“. Mit dieser ersten europäischen Gedenkkundgebung und Simone Veils eindrucksvoller Rede wurde das öffentliche Bewusstsein für das Verfolgungsschicksal und das Leiden der Minderheit in der Zeit des Nationalsozialismus geschaffen.
Simone Veil verkörperte als eine der großen Europäerinnen wie keine andere das Streben nach Gerechtigkeit, Unabhängigkeit und Freiheit, nicht zuletzt durch ihr öffentliches Engagement und mutiges Eintreten für Menschenrechte und Völkerverständigung. Als eine der ersten Politikerinnen solidarisierte sie sich Ende der 70er Jahre uneingeschränkt mit dem Kampf von Sinti und Roma um Anerkennung des erlitten Unrechts während des Nationalsozialismus und setzte damit europaweit ein Zeichen. Ihr unerschütterliches Plädoyer für die Gleichbehandlung des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma mit dem Völkermord an den Juden legte einen wichtigen Grundstein für die Bürgerrechtsarbeit der Sinti und Roma und für die spätere Anerkennung des Völkermordes an den 500 000 Sinti und Roma im nationalsozialistisch besetzen Europa.
Der Zentralrat, das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma und die Manfred Lautenschläger Stiftung würdigten Simone Veils vorbildlichen gesellschaftlichen Einsatz um die Anerkennung des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma 2010 mit der Verleihung des Europäischen Bürgerrechtspreises der Sinti und Roma.
„Simone Veil hat sich nie gescheut ihr politisches und moralisches Gewicht auch für die Aufarbeitung der historischen Dimension des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma einzusetzen. Wie keine andere Politikerin trat sie mutig für die Verantwortung ein, die aus der Erfahrung mit dem Holocaust erwächst, um den Opfern der Sinti und Roma ebenso wie den jüdischen Opfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wir alle betrauern den Verlust einer außerordentlichen und inspirierenden Europäerin.“
Romani Rose
Ihr Engagement für die Wahrung der Menschenrechte in der europäischen Gemeinschaft geht nicht zuletzt auf ihre eigenen Erfahrungen mit dem Nazi-Terror zurück, Erfahrungen, die ihr Leben nachhaltig prägten. 1944 wurde die damals 16-Jährige zusammen mit ihrer Familie von der Gestapo verhaftet. Ihr Vater und ihr Bruder wurden nach Litauen deportiert und kehrten nicht wieder zurück. Die Selektion bei ihrer Ankunft im KZ Auschwitz-Birkenau überlebte die jugendliche Simone Jakob nur, da sie vortäuschte älter zu sein. Nach acht Monaten KZ-Haft überlebte sie zusammen mit ihrer Mutter und einer ihrer Schwester den Todesmarsch nach Bergen-Belsen im Januar 1945. Einen Monat vor der Befreiung des KZ Bergen-Belsen durch englische Alliierte verstarb ihre Mutter an Typhus.
Nach Kriegsende studierte Simone Veil Rechtswissenschaften in Paris. Als erste Frau in Frankreich hatte sie 1974 bis 1979 einen Ministerposten inne. Und auch europaweit setzte sie Zeichen: 1979 wurde Simone Veil Präsidentin des Europäischen Parlaments. Sie war die erste Frau in dieser Funktion seit der Gründung des Parlaments im Jahre 1952. Neben Helmut Kohl und François Mitterand avancierte sie zu einer der Galionsfiguren der europäischen Gemeinschaft.
Im Deutschen Bundestag mahnte sie 2004, die Vergangenheit nicht zu vergessen, da ein Lernen aus den tödlichen Fehlern der Geschichte Grundvoraussetzung für die Gestaltung eines Europas der Bürgerfreiheiten ist, einem Europa, das für Frieden und die Achtung der Menschenwürde eintritt. Im Zentrum dieser Erinnerungsarbeit stand für sie stets auch ein würdiges Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus. Viel früher als andere Politiker plädierte sie deshalb für eine gleichwertige Anerkennung aller Verfolgungsopfer dieser Zeit. „Unsere Schicksale sind miteinander durch dieselbe Pflicht zum Gedenken verknüpft“, wie sie in ihrer 2007 erschienenen Biographie „Une vie“ betonte.