Mit großer Trauer mussten wir heute vom Tod von Zilli Schmidt erfahren. Die Auschwitz-Überlebende verstarb im Alter von 98 Jahren in Mannheim.
Zilli Schmidt (*1924) stammt aus einer Familie deutscher Sinti. Nach ihrer Deportation nach Auschwitz-Birkenau gelang es ihr zunächst, ihre Angehörigen zu retten. Doch in der Nacht des 2. August 1944 wurden ihre vierjährige Tochter Gretel, ihre Eltern, die Schwester mit ihren sechs Kindern und zahlreiche weitere Verwandte ermordet. Am selben Tag schickte die SS Zilli zur Zwangsarbeit nach Ravensbrück. Zilli gelang von dort die Flucht. Nach Kriegsende fand sie nur ihre beiden Brüder wieder. Nach einem bewegten Leben begann sie erst vor wenigen Jahren, über ihre Geschichte zu sprechen.
Zum Europäischen Holocaust-Gedenktag für Sinti und Roma am 2. August 2020 hielt sie die Gedenkrede:
Mein Name ist Zilli Schmidt. Ich bin eine deutsche Sintiza und Überlebende des Vernichtungslagers Auschwitz. Inzwischen bin ich 96 Jahre alt, aber was ich in Auschwitz erlebt habe, werde ich nie vergessen.
Bis 1939 habe ich mit meiner Familie in Ingolstadt gelebt. Hier habe ich noch die Schule abgeschlossen. Wir haben eine heile Familie gehabt bis der Hitler kam. Eine glückliche Familie und ein gutes Leben. Als aber die Verfolgung durch die Nazis immer schlimmer wurde, sind wir geflohen: Zuerst nach Eger im heutigen Tschechien, und 1940 dann nach Lothringen. Wir wollten näher bei meinem ältesten Bruder sein. Der war zur Wehrmacht eingezogen und in Frankreich stationiert.
Aber auch in Lothringen waren wir nicht sicher vor der Gestapo. Ich wurde von der Gestapo schon 1940 verhaftet. Da habe ich viele Lager und Gefängnisse gesehen. Schließlich wurde ich in das Lager Lety im heutigen Tschechien deportiert. Das war ein großes Konzentrationslager für Sinti und Roma. Wir bekamen nur wenig zu essen und hatten ständig Hunger. Viele unserer Menschen starben, vor allem die Kinder. Einmal ist mir die Flucht gelungen, aber ich wurde wieder gefasst.
Am Ende wurde ich dann nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Das war im März 1943. Der Lagerabschnitt für Sinti und Roma wurde da gerade erst gebaut. Ich war eine der ersten Sinti, die in das Vernichtungslager gekommen sind. Da wusste ich natürlich noch nicht, dass wir alle ermordet werden sollten. Nach und nach sind dann fast alle meine Familienangehörigen nach Auschwitz-Birkenau gekommen: Mein Vater, meine Mutter, meine Schwester mit ihren sieben Kindern und auch meine kleine Tochter. Am 2. August 1944 wurden sie alle vergast. Da möchte ich gar nicht drüber sprechen.
Ich wurde kurz davor nach Ravensbrück deportiert. Da habe ich mit einer Polin gesprochen, die am 2. August noch in Auschwitz war. Die hat mir gesagt, dass alle Sinti und Roma in Auschwitz ermordet worden sind. Erst vor ein paar Jahren habe ich angefangen, öffentlich über Auschwitz zu sprechen.
Ich habe mir gesagt: „Es gibt kaum noch jemanden, der Auschwitz selbst erlebt hat. Als eine der letzten Überlebenden ist es jetzt meine Aufgabe zu berichten.“ Bis heute wissen viel zu wenige Menschen, was die Nazis mit den Sinti und Roma gemacht haben. Solange ich das noch kann, erzähle ich die Wahrheit über Auschwitz.
Ich habe die Befürchtung, dass sich alles wiederholt, was ich erlebt habe. Ich sehe, wie Menschen heute wieder wegen ihrer Abstammung ausgegrenzt und verfolgt werden. Ich sehe, dass in vielen Staaten die Menschenrechte mit Füßen getreten werden.
Aber ich sehe auch, dass sich viele gerade junge Menschen mit aller Kraft für Demokratie und Menschenrechte einsetzen. Jetzt liegt es an der jungen Generation: Ihr dürft nie zulassen, dass so eine Zeit noch einmal kommt.