Neue Publikation zur Rezeption des NS-Völkermords an den Sinti und Roma in der SBZ/DDR

Die Publikation zur Rezeption des NS-Völkermords an den Sinti und Roma in der SBZ/DDR soll bisher wenig zur Kenntnis genommene Aspekte der DDR-Geschichte beleuchten: die Fragen der Anerkennung der Sinti und Roma als „Opfer des Faschismus“, der Entschädigungspraxis für die erlittene NS-Verfolgung, der Politik des Erinnerns und des offiziellen Gedenkens und der Rolle der Minderheit in der gesellschaftlichen und politischen Wahrnehmung in der DDR.

In Bezug auf die Geschichte der Minderheit in der DDR stellen sich insbesondere Fragen darüber, welchen Umgang Politiker, Juristen, Bürokraten und Wissenschaftler mit Sinti und Roma im „antifaschistischen“ Kontext der DDR praktiziert haben und wie dieses Handeln legitimiert wurde. Da die „Nürnberger Rassegesetze“ eine Grundlage für die systematische Ausgrenzung der Sinti und Roma bildeten und in der Mordpolitik endeten, verwundert es zunächst, dass in der DDR deren Anerkennung als „rassisch Verfolgte“ bzw. als „Opfer des Faschismus“ (OdF) mit vielen Schwierigkeiten verbunden war und für Sinti und Roma spezifische Regelungen formuliert wurden. Legt man jedoch die damaligen Anerkennungskriterien als OdF zugrund, wird schnell deutlich, wie groß die Diskrepanz zwischen den historischen Fakten und der ideologischen, in Gesetzessprache gegossenen Mythenbildung im SED-System war, wonach nur „antifaschistische Widerstandskämpfer“ in den Genuss einer Ehrenrente sowie eines offiziellen Gedenkens und Erinnerns kamen. Nach der Rückkehr der Sinti – es waren kaum Roma unter den Angehörigen der Minderheit im Ostteil Deutschlands – in ihre Heimatstädte, die auf dem Gebiet der 1949 gegründeten DDR lagen, sahen sie sich erneut Diskriminierung und Benachteiligungen ausgesetzt, sei es bei der Suche nach Arbeit oder Unterkünften, im Bildungsbereich, im Rahmen von Wiedergutmachungsverfahren oder im alltäglichen Umgang mit den Behörden. Gab es hier Parallelen zur Entwicklung in der Bundesrepublik, in der die polizeiliche Sondererfassung der Minderheit durch ehemalige Täter des „Reichssicherheitshauptamtes“ erneut zur Stigmatisierung und Kriminalisierung der Minderheit führte, da die ehemaligen SS-Offiziere mit der wiedergewonnenen Deutungsmacht über Sinti und Roma sich zu entlasten und zu exkulpieren suchten, indem sie die Völkermordverbrechen leugneten und als „kriminalpräventive“ Maßnahmen kaschierten und so eine Auseinandersetzung damit lange Zeit erfolgreich verhinderten? Überlebten in der DDR die klassischen Negativklischees und Stereotypen über „Zigeuner“, die von den Nationalsozialisten aufgegriffen zur Diffamierung der Minderheit benutzt wurden?

Die Quellenrecherche zu diesem Projekt hat das Nürnberger Institut für Medien- und Projektarbeit, IMEDANA e.V., unternommen. Mitarbeiterinnen des Instituts haben auch den Großteil der Dokumentation abgefasst. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurden Bestände des Bundesarchivs, der Staats- und Landesarchive der neuen Bundesländer, der Birthler-Behörde sowie der Gedenkstätten der ehemaligen Konzentrationslager auf dem Boden der DDR gesichtet und ausgewertet. Dabei glich die Recherche nach Hinweisen in DDR-Dokumenten auf die Thematisierung des NS-Völkermords an den Sinti und Roma oftmals der berühmten Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Da in der DDR nahezu keine Auseinandersetzung mit dem Schicksal der Minderheit während des Nationalsozialismus geführt wurde, fanden sich relevante Informationen oftmals lediglich in Nebensätzen. Dennoch konnten wichtige Rückschlüsse auf den Umgang der DDR mit der NS-Vergangenheit gezogen und die Gleichgültigkeit gegenüber dem Völkermord als integraler Bestandteil des sozialistischen Antifaschismus nachgezeichnet werden. Der wohl wichtigste Quellenbestand zu dem Thema liegt im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Heidelberg. Es ist der Nachlass des im November 2001 verstorbenen Schriftstellers und Bürgerrechtlers Reimar Gilsenbach, der dem Zentrum von seiner Witwe Hannelore Gilsenbach übergeben worden ist.