Der indische Autor, Menschenrechtsaktivist und Nobelpreis-Kandidat Harsh Mander hat das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma besucht, um sich über die Geschichte und die aktuelle Situation der Minderheit zu informieren. Der 66-Jährige ist Direktor des „Centre for Equity Studies“ in Neu-Delhi und derzeit Fellow an der „Robert Bosch Academy“ in Berlin. Für den von ihm initiierten „Marsch für Solidarität und Liebe“ wurde Harsh Mander Anfang Februar vom Peace Research Institute Oslo für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen.
„Die Welt wird für Minderheiten angesichts autoritärer Regierungen immer gefährlicher“, sagte Harsh Mander. Deshalb ist der 66-Jährige davon überzeugt, dass Menschen überall auf der Welt von den Erfahrungen Deutschlands lernen können. „Ich bin sehr bewegt, wie die Deutschen mit dem Erbe des Holocaust und des Naziregimes umgehen“, betonte der Autor und Menschenrechtsaktivist im Gespräch mit Emran Elmazi vom Dokumentations- und Kulturzentrum sowie Herbert Heuß vom Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Allerdings habe er festgestellt, dass es nicht die gleiche Auseinandersetzung mit allen Opfergruppen gebe, dass gerade Sinti und Roma noch immer unter Stigmatisierungen zu leiden hätten. Das besondere Interesse des „Richard von Weizsäcker Fellow“ an der „Robert Bosch Academy“ in Berlin galt aus diesem Grund der Situation der Minderheit im Nachkriegsdeutschland und dem Kampf der Bürgerrechtsbewegung um die Anerkennung des Völkermords an den Sinti und Roma.
„Vor allem in der deutschen Polizei gab es eine erschreckende personelle Kontinuität“, erläuterte Herbert Heuß, Wissenschaftlicher Leiter des Zentralrates. Während die Täter ihre Karrieren nahtlos fortsetzen konnten, wurden die Überlebenden weiterhin ausgegrenzt. Mit aufsehenerregenden Aktionen wie dem Hungerstreik im ehemaligen Konzentrationslager Dachau im Jahr 1980 verschaffte sich die Bürgerrechtsbewegung Deutscher Sinti und Roma Gehör und machte den Mord an europaweit mehr als 500.000 Sinti und Roma zum gesellschaftlichen Thema.
Offiziell anerkannt wurde dieser „vergessene Holocaust“ erst 1982 von Bundeskanzler Helmut Schmidt. Es sollte aber nochmals 30 Jahre lang dauern, bis in Berlin mit einem Denkmal auch dieser Opfergruppe gedacht wurde. „Seitdem hat sich sehr viel verändert“, ergänzte Emran Elmazi. Als einen „Meilenstein“ beschrieb der Wissenschaftliche Leiter des Dokumentations- und Kulturzentrums dabei den rund 800 Seiten umfassenden Abschlussbericht der Unabhängigen Kommission Antiziganismus (PDF) im vergangenen Sommer. „Als Konsequenz hat die Bundesregierung entschieden, neben dem Beauftragten gegen Antisemitismus auch einen Beauftragten gegen Antiziganismus zu berufen.“ Das Dokumentationszentrum und der Zentralrat hoffen, dass beide künftig im gleichen Ressort angesiedelt werden, um den identischen Stellenwert beider Positionen zu veranschaulichen.
Dr. Harsh Mander gab während des rund zweistündigen Treffens auch einen Einblick in seine eigene Arbeit, bei der er immer wieder den von politisch Verantwortlichen geschürten Hass gegen religiöse Minderheiten in Indien anprangert. Insbesondere für seine Unterstützung der Muslime ist der 66-Jährige wiederholt ins Visier des Staates geraten. „Die indische Regierung betrachtet mich als Feind, weil ich Missstände laut anspreche.“ Nach Durchsuchungen seiner Büroräume und seines Wohnhauses seien ihm verschiedene kriminelle Machenschaften unterstellt worden. „Wenngleich meine Situation sehr gefährlich ist, betrachte ich es als meine größte Aufgabe, mein Engagement fortzusetzen.“ Aus diesem Grund werde er nach Ende des Fellowship im Mai auch in seine Heimat zurückkehren. Die Nominierung des Peace Research Institute Oslo für den Friedensnobelpreis werde ihm dabei helfen, weiterhin seine Stimme zu erheben. „Ich habe niemals von dieser Auszeichnung geträumt“, versicherte Harsh Mander. Und fügte hinzu: „Ich fühle mich durch diesen Vorschlag aber natürlich sehr geehrt.“