Lesung mit dem Holocaust-Überlebenden Reinhard Florian im Dokumentationszentrum

Am Donnerstag, 21. März, findet im Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma um 19:30 Uhr die Lesung „Ich wollte nach Hause, nach Ostpreußen! Das Überleben eines deutschen Sinto“ mit Reinhard Florian und Robert Gallinowski statt.

Reinhard Florians Erinnerungen bieten Einblicke in die bislang weitgehend unbekannte Verfolgung der ostpreußischen Sinti. Sie erschienen anlässlich der Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas in der Schriftenreihe der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas.

Reinhard Florian wird bei der Lesung zugegen sein. Es liest der Schauspieler und Maler Robert Gallinowski. Jana Mechelhoff-Herezi, Mitherausgeberin des Buches und Wissenschaftliche Mitarbeiterin der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas, und Romani Rose führen in das Thema ein. Die Veranstaltung findet im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus statt.

Reinhard Florian, 1923 geboren, 1941 verhaftet, überlebte Deportation und mehrere Lager, Hunger und einen Todesmarsch: „Die Wirklichkeit, meine ich, das Lagerleben, diese brutale Vergangenheit. Die steckt im Menschen drin. Die geht nicht mehr raus, selbst wenn wir das wollten, und wir wollen es gerne vergessen. Unser Leben wird bestimmt von dieser brutalen Vergangenheit.“

In eindringlichen Worten schildert der Sinto seine Kindheit im geliebten Ostpreußen, die nach 1933 einsetzende Entrechtung und die frühe Trennung von der Familie, als ihm der nationalsozialistische Staat nach seinem Schulabschluss eine Berufsausbildung verweigert und er statt dessen auf einem Gut arbeiten muss, ohne jeden Kontakt zu seinen Angehörigen. Doch sein eigentliches Martyrium beginnt 1942, als er von einem Tag auf den anderen verhaftet und schließlich in das Konzentrationslager Mauthausen verschleppt wird.

In ebenso schlichten wie eindringlichen Worten schildert Florian seine Odyssee durch das nationalsozialistische Lagersystem. Orte wie Auschwitz-Monowitz, Gusen oder Ebensee werden für ihn zu Stationen einer niemals endenden Entwürdigung. Immer wieder beschwört er die Grenzen dessen, was überhaupt noch mit Worten mitgeteilt werden kann: „Ihr habt vielleicht eine Menge gehört und lest staunend meinen Bericht. Aber mit wem kann ich mich über meine Erfahrungen unterhalten, über meine Erlebnisse, über das Unsagbare, das ich mitgemacht habe? Das hat mit Menschsein nichts mehr zu tun.“

Reinhard Florian schildert, wie Menschen zu Arbeitssklaven entwertet werden, deren Lebensrecht nach durchschnittlich drei Monaten – nachdem sie zum Gerippe abgemagert sind – endgültig erlischt. Er erzählt von einem Häftlingsalltag, der geprägt ist von grenzenloser Willkür, dem eigenen Abstumpfen gegenüber dem Leid des Mitgefangenen, und von der Allgegenwart des Hungers: „Als bereits alles hoffnungslos war, als wir alle vorigen Hoffnungen bereits begraben hatten, war da noch eine Hoffnung auf die nächste Mahlzeit, denn der Hunger war unerträglich.“

Wir begreifen: eine solche Wunde kann niemals ganz heilen. Wie ein Schatten legt sich die traumatische Erfahrung des Lagers über das Leben von Reinhard Florian, auch nach seiner Befreiung: „Ich bin zu sehr gequält worden, als dass ich heute noch lachen kann über irgendetwas. Mein Lachen ist eine Grimasse, aber nicht mehr. Das Lachen ist mir vergangen. Ich kann nicht mehr von Herzen lachen.“

Das Buch erzählt auch von den Mühen des Neubeginns nach dem Ende der Nazibarbarei. Die meisten seiner Angehörigen hat Reinhard Florian in den nationalsozialistischen Konzentrations- und Vernichtungslagern verloren. Von der elfköpfigen Familie überleben außer ihm nur sein Vater und ein Bruder, die er erst viel später wiedertrifft. In seine geliebte ostpreußische Heimat kann er nach seiner Befreiung aufgrund der veränderten weltpolitischen Lage nicht mehr zurück.

Und doch hat sich Reinhard Florian, wie auch Romani Rose in seinem Vorwort betont, nie auf die Rolle des passiven Opfers reduzieren lassen. Ausdrücklich dankt Rose dem fast Neunzigjährigen für seine langjährige Unterstützung. Dass Reinhard Florian am Tag der Denkmalseinweihung neben der Kanzlerin und dem Bundespräsidenten am Rande des „Sees der Erinnerung“ der Opfer gedachte, kann als ein Zeichen der Anerkennung verstanden werden, die ihm die Bundesrepublik jahrzehntelang vorenthalten hat. Als er vor der schwarzen Wasseroberfläche steht, sagt er: „Jetzt haben auch unsere Toten ein Zuhause.“

Seine Erinnerungen, leise und doch voller Intensität, sind ein Vermächtnis für künftige Generationen.