Bürgerrechtspreis 2008

Prof. Dr. Władysław Bartoszewski

Władysław Bartoszewski bei der Preisverleihung. Er hält in seinen Händen die Skultpur und die Preisurkunde.
Władysław Bartoszewski (Foto: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma)

Władysław Bartoszewski (1922 – 2015) war einer der tonangebenden Intellektuellen und Politiker Polens. Als Widerstandskämpfer während der deutschen Besatzung des Landes hat er an führender Stelle an der Rettung von zehntausenden jüdischen Mitbürgern mitgewirkt, wurde in das Konzentrationslager Auschwitz verschleppt und hat sich nach seiner Entlassung im Jahr 1944 am Warschauer Aufstand beteiligt. Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Bartoszewski erneut zum Opfer eines totalitaristischen Systems geworden. Als Journalist der einzigen oppositionellen Tageszeitung in Polen und als Mitarbeiter in der Hauptkommission für die Untersuchung der Naziverbrechen geriet er bald in das Visier der neuen stalinistischen Herrscher und verbrachte sechseinhalb Jahre bis zu seiner Rehabilitation 1955 in Haft. Im Anschluss begann er als Historiker und Journalist die erlebte Geschichte in einen breiten zeitgeschichtlichen Kontext einzuordnen: eine Arbeit, die bis heute zu 50 Buchveröffentlichungen und Tausenden von Aufsätzen geführt hat.

Sein unerschütterliches Eintreten gegen das repressive System hat ihn anfangs der 1980er Jahre erneut in Konflikt mit der Staatsmacht gebracht. Nach einer längeren Internierung reiste er nach Deutschland aus, wo er in München, Eichstätt und Augsburg als Professor für Geschichte weiter als Mittler zwischen Polen und Deutschen wirkte. Nach der politischen Wende begann er eine neue politische Karriere als Botschafter Polens in Österreich (1990 bis 1995) sowie später als Außenminister Polens (1995 und erneut 2000 bis 2001). Als Staatssekretär und Regierungsbeauftragter für internationalen Dialog war er nach den Parlamentswahlen 2007 in der Kanzlei des polnischen Premierministers auch für die Gestaltung der deutsch-polnischen Beziehungen zuständig.

Władysław Bartoszewski hat sich vor dem Hintergrund seiner persönlichen Erfahrungen mit der Todesmaschinerie der Nationalsozialisten nach dem Zweiten Weltkrieg dem Schutz der Menschenrechte und dem Kampf gegen Rassismus verschrieben. So zählt er zu den Mitbegründern der im April 1946 ins Leben gerufenen Gesamtpolnischen Liga zum Kampf gegen Rassismus. In seinen Schriften und bei zahlreichen öffentlichen Auftritten brachte er bereits frühzeitig zum Ausdruck, dass Sinti und Roma ebenso wie die Juden Opfer der systematischen Vernichtungspolitik geworden waren, der im besetzten Europa 500.000 Angehörige der Minderheit zum Opfer fielen. In Polen allein sind von den 50.000 dort seit Jahrhunderten beheimateten Sinti und Roma schätzungsweise 35.000 Menschen in den Gaskammern und durch die Erschießungskommandos der Nazis um ihr Leben gebracht worden. Die grundlegenden Gemeinsamkeiten der Vernichtungspolitik gegenüber Sinti, Roma und Juden betonte Bartoszewski nachdrücklich in seiner Rede anlässlich der Gedenkveranstaltung zum Aufstand der Sinti- und Roma-Häftlinge im Konzentrationslager Auschwitz am 16. Mai 2004 im Auswärtigen Amt. Darin hob er unter anderem hervor:

„… nach der Auswertung der erhaltenen historischen Dokumente in der Nachkriegszeit ist im Fall der Roma im vollen Umfang die gleiche mörderische Zielstrebigkeit zum Vorschein gekommen, die Millionen von Juden zum Verhängnis wurde. Die Exterminierung der ‚Zigeuner‘, wie sie umgangssprachlich abwertend genannt wurden, gehörte von Anfang an ebenso wie der Holocaust an den Juden zu den Prioritäten der Rassenpolitik des Dritten Reiches.“

In ebenso eindringlicher Weise hat er in dieser Rede auf die Jahrzehnte währende Verdrängung des nationalsozialistischen Völkermords an den Sinti und Roma aus dem historischen Gedächtnis der europäischen Nationen hingewiesen:

„Das Wissen um die Vernichtung des jüdischen Volkes während des Zweiten Weltkriegs ist heute allgemein bekannt. (…) Dieses Bewusstsein hat sich in Bezug auf die Roma leider noch nicht allgemein durchgesetzt. Aus diesem Grunde obliegt es den Wissenschaftlern und Historikern und auch uns allen, das Los des ermordeten Roma-Volkes in Europa festzuhalten und künftigen Generationen einen Einblick in dieses tragische Schicksal zu ermöglichen.“

Władysław Bartoszewski hat dieser grundlegenden Erkenntnis als politisch Verantwortlicher immer wieder Taten folgen lassen. So hat er sich nachdrücklich für die Formierung von Selbstorganisationen von Sinti und Roma in Polen eingesetzt, aber auch die Arbeit des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma seit dessen Gründung im Jahr 1997 engagiert unterstützt. Von besonderer Bedeutung für die nationalen Minderheiten der Sinti und Roma in ihren jeweiligen Heimatländern war sein Einsatz für die Einrichtung der ständigen Ausstellung zum NS-Völkermord an den Sinti und Roma im ehemaligen Block 13 im Staatlichen Museum Auschwitz. Als Vorsitzender des Internationalen Auschwitz-Rats und als Außenminister Polens war Bartoszewski der wichtigste Fürsprecher und die treibende Kraft bei der Realisierung dieser Ausstellung, die jedes Jahr von mehr als 80.000 Menschen besucht wird und weltweite Bedeutung erlangt hat. Als polnischer Außenminister hat Prof. Bartoszewski die Ausstellung am 2. August 2001 eröffnet. Auch bei dieser Gelegenheit betonte er die Parallelität des Verfolgungsschicksals von Sinti und Roma sowie Juden, als er sagte: „Ähnlich, wie es keine jüdische Familie gibt, die in dieser Hölle nicht Angehörige verloren hätte, so gibt es keine Familie der Roma, die keine Opfer zu beweinen hätte.“

Der engagierten Initiative von Prof. Bartoszewski ist es zu verdanken, dass in der offiziellen Erklärung der UNESCO zur Weltkulturerbestätte Deutsches nationalsozialistisches Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau ausdrücklich auch die dort verübten Verbrechen an den Sinti und Roma benannt werden. Auch bei der Realisierung weiterer Gedenkorte zugunsten der Sinti und Roma in Polen und anderswo war er ein wichtiger Ideengeber und Förderer. In zahlreichen politischen Konflikten – so beispielsweise wenn es um die Entwürdigung historischer Orte in der Tschechischen Republik geht – konnten sich die Überlebenden der Sinti und Roma und ihre Nachkommen seiner Unterstützung sicher sein.

Logo des Europäischen Bürgerrechtspreises der Sinti und Roma in deutscher, englischer und französischer Sprache. Der Schriftzug ist am linken Rand von den Europasternen umgeben.
Logo Dokumentationszentrum
Logo des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma
Logo der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien
Logo der Manfred-Lautenschläger-Stiftung.
Logo des Programms Europe for Citizens. Links eine Europaflagge, rechts der Schriftzug.