Gemeinsam mit dem Bündnis für Demokratie und Toleranz (BfDT) ermöglichte das Dokumentationszentrum auch in diesem Jahr einer Gruppe von jugendlichen und jungen Erwachsenen Sinti und Roma die Teilnahme am Internationalen Roma-Gedenktag in Auschwitz am 2. August. Dem Tag, an dem 1944 bei der „Liquidierung“ des so genannten „Zigeunerlagers“ die letzten rund 2.900 Sinti und Roma (Kinder, ihre Mütter, alte und kranke Menschen) in den Gaskammern ermordet wurden.
Seit 1994 reisen Delegationen von Überlebenden des Nazi-Terrors sowie deren Familienangehörige auf Einladung des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma zu dem Ort, der zu einem Symbol für die massenhafte und industrielle Vernichtung von Menschen wurde. 2008 war es durch die Unterstützung des BfDT erstmals möglich, dass auch Sinti und Roma der dritten und vierten Generation die Zeitzeugen auf den Spuren der Geschichte ihrer Familien nach Auschwitz begleiten konnten. Eingebettet in die gemeinsam mit dem polnischen Roma-Verband (RSVP) organisierten Feierlichkeiten zum Internationalen Roma-Gedenktag wurde der Gruppe der Enkel und Urenkel ein dreitägiges Programm angeboten, das ihnen die Möglichkeit gab, den ermordeten Sinti und Roma zu gedenken und sich mit der leidvollen Geschichte der Sinti und Roma im Konzentrationslager Auschwitz auseinander zu setzen.
Das offizielle Programm begann am 1. August mit der Einweihung eines Gedenksteins am ehemaligen Krematorium V in Auschwitz-Birkenau zur Erinnerung an die dort ermordeten Sinti und Roma. Im Anschluss fand der Besuch der Dauerausstellung zur Geschichte des NS-Völkermords an den Sinti und Roma im Block 13 des Stammlagers und eine Kranzniederlegung an der „Schwarzen Wand“ statt.
Bei einer Ansprache vor der Delegation betonte der die Gedenkfahrt begleitende Geschäftsführer des BfDT, Dr. Gregor Rosenthal:
„Wir sind heute zusammen gekommen, um der Ermordeten und Verfolgten zu gedenken – um zu trauern. Ihr Mut – und damit richte ich meinen Blick auf die Überlebenden – hier zu stehen, zu berichten, nicht länger zu schweigen – beeindruckt mich, beeindruckt viele Menschen. Ihr Mut und Ihre Entschlossenheit, die Erinnerung an vergangenes Leid lebendig zu halten, wird die Zukunft der kommenden Generationen von Sinti und Roma in Deutschland und Europa prägen. Erinnerung, gerade die Erinnerung an die Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Zeit der Gewaltherrschaft des Nationalsozialismus, stiftet Identität und legt den Grundstein für ein demokratisches und tolerantes Miteinander. In den nächsten Tagen wird es deshalb auch darum gehen, wie die junge Generation sich aktiv für Respekt und Anerkennung und eine ihren Vorstellungen entsprechende Zukunft in jedem Ihrer Länder einsetzen kann. Sie sind die Enkel und Urenkel einer Generation von mutigen Menschen, denen selbst das Leben verwehrt wurde. „Rom“ heißt Mensch. Kaum eine Nation kann auf eine solche Bedeutsamkeit im Namen ihrer Nationalität verweisen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie diesen Namen stets mit Stolz tragen.“
Am 2. August nahm die Gruppe der Enkel und Urenkel am Internationalen Roma-Gedenktag im Lagerabschnitt B II e (dem so genannten „Zigeunerlager“) in Auschwitz-Birkenau teil. Ein Empfang durch Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der Internationalen Jugendbegegnungsstätte sowie ein Empfang beim Vorsitzenden des Polnischen Roma-Verbands, Roman Kwiatkowski, schlossen den Tag ab.
Am 3. August bestand für die Gruppe die Möglichkeit zur intensiveren Auseinandersetzung mit dem historischen Ort des Konzentrationslagers Auschwitz. Sachkundig begleitet wurde sie dabei von der Gedenkstättenmitarbeitern Eva Pasterak. Am Vormittag stand der gemeinsame Rundgang durch Ausstellungen und erhaltene Gebäude im ehemaligen Stammlager auf dem Programm. Am Nachmittag besuchte die Gruppe die so genannte Alte Rampe, an der viele der nach Auschwitz deportierten Sinti und Roma nach oftmals tagelanger Fahrt eingetroffen waren. Gemeinsam beschritten die Teilnehmenden anschließend symbolisch den Weg der Deportierten bis zum Eingangstor des Lagers Auschwitz-Birkenau. Dort folgten die Besichtigung der noch erhaltenen Wohn- und Latrinenbaracken sowie ein Gang entlang der durch das Lager verlegten Eisenbahnrampe bis hin zu den Ruinen der Krematorien II und III.
Den Vormittag des Abreisetages (4. August) nutzten einige Teilnehmer zum Besuch der ehemaligen Fabrik von Oskar Schindler. Seit Juni 2010 ist dort eine Ausstellung zu Oskar Schindler sowie zur Geschichte Krakaus unter nationalsozialistischer Besatzung zu sehen.
Gerade der Dialog zwischen den Generationen, aber auch zwischen Teilnehmern unterschiedlichster Nationen, trug zur Entwicklung einer zukunftsorientierten, lebendigen und produktiven Erinnerungskultur bei. Dies ist die zentrale Motivation der Erinnerungsfahrten. Denn nur durch die Sensibilisierung der kommenden Generationen für Geschichte und politische Kultur können die Situation für Minderheiten in ganz Europa nachhaltig verbessert, neu erstarkende rassistische Gewalt bekämpft und die demokratischen Rechte jedes Menschen gesichert werden.
Bericht „Erinnern, Trauern und für die Zukunft lernen“ auf der Internetseite des BfDT.