Musik war sein Leben. Wenn Mirano Cavaljeti-Richter von seinen Rollen in Opern und Operetten erzählte, summte er oft ganz leise eine der geliebten Melodien oder stimmte gar eine Arie an. Dabei strahlte er voller Glück, selbst als seine schwere Krankheit ihm längst die Kraft geraubt hatte. Am 17. August ist der Angehörige der Minderheit nun nach einem erfüllten Leben im Alter von 91 Jahren verstorben. Das Dokumentations- und Kulturzentrum sowie der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma trauern mit seiner Familie um Mirano Cavaljeti-Richter.
Einen seiner letzten umjubelten Auftritte hatte der ausgebildete Tenor im Januar 2023 in Heidelberg. Dabei stellte er gemeinsam mit der Historikerin Annette Leo seine Lebenserinnerungen, die unter dem Titel „Auf der Flucht über den Balkan“ im Jahr zuvor erschienen waren, auf der Bühne im Gewölbekeller des Dokumentationszentrums vor.
Mirano Cavaljeti-Richter hat als Kind den Holocaust an den Sinti und Roma überlebt und große Not ertragen müssen. Deshalb empfand er es als seine Pflicht, über die Flucht seiner Familie während des Nationalsozialismus und sein Schicksal zu sprechen. Auch, um immer wieder auf die Gefahren von Faschismus, Rassismus und Antiziganismus aufmerksam zu machen.
Gewarnt von einem Lehrer und im Angesicht beginnender Deportationen von Angehörigen, brach die Familie 1939 aus dem thüringischen Hinternah zunächst nach Bayern und Österreich auf. Von dort schafften seinen Elter trotz ungültiger – da abgelaufener Pässe – den Grenzübertritt nach Italien. Auch hier begegneten sie als Sinti der zunehmend um sich greifenden Rassenideologie, in Kroatien, Bulgarien und Serbien zudem der Gewalt durch Polizeibeamte und Partisanen. Während die engsten Angehörigen von Mirano Cavaljeti-Richter den Holocaust überlebten, wurden sechs Familienmitglieder, darunter Onkel und Tanten, von den NS-Schergen ermordet.
Nach Ende des Zweiten Weltkriegs absolvierte Mirano Cavaljeti-Richter eine klassische Ausbildung am Städtischen Konservatorium in Nürnberg. Seine Jahrzehnte umspannende internationale Gesangskarriere führte ihn als Star zahlreicher Opern und Operetten auf hunderte Bühnen in ganz Europa, darunter das Münchner Hoftheater und das Salzburger Landestheater. Trotz erschütternder Kindheitserfahrungen und der Traumata der NS-Verfolgung gelang es ihm, das Leben wohlwollend und mit Heiterkeit zu betrachten. Bis ins hohe Alter berichtete er als Zeitzeuge von seinen Erfahrungen, um das Bewusstsein für den Holocaust an Sinti und Roma während des Nationalsozialismus zu schärfen. Sein Credo lautete dabei: Man könne vergeben, aber vergessen dürfe man nie.
„Der Holocaust an Sinti und Roma ist immer noch zu wenig sichtbar und viel zu wenig erinnert“, betonte er nachdrücklich im Interview mit Mitarbeitenden des Sammlungsprojekts „Das vergessene Gedächtnis“. Das Projekt zum Aufbau einer musealen Sammlung am Heidelberger Dokumentationszentrum hat der Sinto aktiv unterstützt – nicht nur mit einem ausführlichen, unvergänglichen Interview. Mirano Cavaljeti-Richter hat dazu auch bemerkenswerte Objekte wie seinen maßgeschneiderten Bühnenfrack, eine Single-Schallplatte und zahlreiche Fotos beigesteuert. Diese werden auch künftige Generationen an sein Schicksal und seine außerordentlichen Erfolge erinnern.