Vor 50 Jahren: Erste Demonstration der Sinti in Heidelberg

Am 18. Juli 1973 demonstrierten Sinti in Heidelberg mit einer Kundgebung und einem Schweigemarsch gegen die Erschießung von Anton Lehmann durch die Polizei und die anhaltende Diskriminierung.

Das Foto zeigt den Schweigemarsch der Demonstranten durch die Heidelberger Innenstadt. Am Beginn des Protestzug läuft Vinzenz Rose, ihm folgen zahlreiche Demonstrierende mit Plakaten, Bannern und schwarzen Trauerfahnen.
Schweigemarsch der Demonstranten durch die Heidelberger Innenstadt (Foto: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma/Rhein-Neckar-Zeitung)

1973 wurde der Heidelberger Sinto Anton Lehmann von der Polizei erschossen. Der von Vinzenz Rose initiierte „Verband Deutscher Sinti“ organisierte daraufhin in Heidelberg die erste öffentliche Demonstration gegen die Diskriminierung von Sinti und Roma. Rund 100 Angehörige der Minderheit waren aus verschiedenen Teilen der Bundesrepublik angereist. Nach einer Kundgebung auf dem Alten Messplatz zogen sie in einem Schweigemarsch durch die Heidelberger Innenstadt. Die Demonstrierenden trugen schwarze Fahnen und skandierten auf Transparenten, dass sie nicht länger „Menschen zweiter Klasse“ sein wollten.

Die Anfänge der Bürgerrechtsbewegung

Bereits in den 1950er Jahren versuchten die Brüder Oskar und Vinzenz Rose zusammen mit anderen Überlebenden des Holocaust, die nationalsozialistischen Verbrechen an Sinti und Roma juristisch aufarbeiten zu lassen. Staatsanwaltschaftliche Verfahren gegen Täter wurden jedoch bald wieder eingestellt. Die ersten Vereinsgründungen von Sinti und Roma fanden kaum Gehör. Erst in den 1970er Jahren, die von einem politisch-kulturellen Wandel geprägt waren, erhielten Bürgerrechtsinitiativen von Sinti und Roma neuen Auftrieb. Angehörige der jüngeren Generation wie Romani Rose wollten die Diskriminierung der Minderheit in der Bundesrepublik Deutschland beenden und endlich die Anerkennung des nationalsozialistischen Völkermordes an den Sinti und Roma erreichen.

Am 27. Oktober 1979 veranstaltete der Verband Deutscher Sinti auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Bergen-Belsen die erste internationale Gedenkkundgebung für die von den Nationalsozialisten ermordeten Sinti und Roma. Am Karfreitag 1980 traten zwölf Sinti auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau in den Hungerstreik. Die Aktion wurde zu einem zentralen Ereignis der Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma in Deutschland. Besonderes moralisches Gewicht erhielt der Hungerstreik durch die Teilnahme der KZ-Überlebenden Jakob Bamberger, Hans Braun und Franz Wirbel.

Neun Verbände der Bürgerrechtsbewegung gründeten im Februar 1982 den „Zentralrat Deutscher Sinti und Roma“. Damit gelang es den Aktivisten, eine Vertretung der deutschen Sinti und Roma zu etablieren, die von der Bundesregierung als politischer Gesprächspartner akzeptiert wurde. Nur wenige Wochen später erkannte Bundeskanzler Helmut Schmidt erstmals offiziell den nationalsozialistischen Völkermord an den Sinti und Roma in Deutschland an.

Polizeigewalt heute

In Deutschland kommt es immer wieder zu unverhältnismäßigen Polizeieinsätzen, Racial Profiling und Polizeigewalt. Zu diesem Ergebnis kommt auch die Studie „Körperverletzung im Amt durch Polizeibeamte“ der Ruhr-Universität Bochum. Die Untersuchung zeigt: Von Rassismus betroffene Menschen machen deutlich häufiger Diskriminierungserfahrungen mit der Polizei als Angehörige der Mehrheitsgesellschaft.

Auch wenn einige Polizeidienststellen inzwischen auf die Beschwerden des Zentralrats reagieren und polizeiliche Meldungen löschen, in denen auf die Herkunft als wesentliches Merkmal bei der Zuordnung von Tatverdächtigen hingewiesen wird, bleibt es ein Problem, dass Sinti und Roma in der polizeilichen Arbeit häufig unter Generalverdacht gestellt werden. Diese Grundannahme hat in der polizeilichen Praxis eine lange, nahezu ungebrochene Tradition. Polizei und Sicherheitsbehörden ging es immer darum, die Angehörigen der Minderheit in ihrer Gesamtheit aufgrund ihrer Abstammung zu erfassen und so eine möglichst umfassende Kontrolle über Sinti und Roma auszuüben.

Das Foto zeigt Vinzenz Rose bei seiner Ansprache auf dem Alten Messplatz in Heidelberg. Er trägt einen Anzug, Hut und Sonnenbrille. Er steht vor einem Mikrofon. Hinter ihm stehen Demonstierende mit Schildern in den Händen.
Vinzenz Rose bei seiner Ansprache auf dem Alten Messplatz (Foto: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma/Dagmar Linke)

Auch nach 1945 setzte sich diese polizeiliche Praxis gegenüber Sinti und Roma nahezu nahtlos fort. In keiner Behörde gab es so ungebrochene personelle und strukturelle Kontinuitäten wie bei der Polizei.

Bis heute ereignen sich in Deutschland Fälle unverhältnismäßiger Polizeigewalt, die der Zentralrat dokumentiert und verfolgt. Betroffen sind sowohl Sinti und Roma als auch Menschen, denen die Zugehörigkeit zur Minderheit zugeschrieben wird. Ohne die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Organisationen und juristischen Beistands sind die Betroffenen oft kaum in der Lage, ihre Rechte durchzusetzen. Und in vielen Fällen bleibt polizeiliches Fehlverhalten ohne Konsequenzen.

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