Am 11. Oktober 2011 war im Hof des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma ein Spektakel der ganz besonderen Art zu sehen: Die gerade einmal 1,58 m große Anna Traber, jüngster Sprössling der bekannten Artistenfamilie, kletterte gegen 17 Uhr auf eine 52 m hohe Stahlkonstruktion, auf der sie waghalsige Kunststücke vorführte.
Von einem erstaunten Publikum in diesen luftigen Höhen beobachtet, versetzte Anna Traber als Höhepunkt ihrer Aufführung den Stahlmast in Schwingung und lieferte so mit ihren Kunststücken eine spektakuläre Show. Tatsächlich ging es bei dem Heidelberger Auftritt aber nicht nur um die Vorführung artistischen Könnens, sondern auch um die Betonung einer bisher kaum bekannten Seite der Familie: Sie gehört zu der Minderheit der Sinti und nutzte den Besuch im Dokumentationszentrum, um sich in der Dauerausstellung über die bewegte Geschichte der Sinti und Roma in Deutschland und Europa zu informieren.
Bis zu einer halben Million Sinti und Roma wurden während der NS-Diktatur ermordet. Gegenüber der Südwest Presse berichtete Johann Traber, wie alles mit einer Liebesgeschichte begann: „Mein Großvater, der auch Schausteller war, verliebte sich in die Tochter einer berühmten Sinti-Artistenfamilie, Mathilde Winterstein.“ Aus der Ehe zwischen den beiden gingen zahlreiche Kinder hervor, von denen einige fortan den Artistenberuf ausübten. Doch auch schon vorher waren die Trabers als Künstlerfamilie bekannt. Die erste urkundliche Erwähnung geht auf 1512 zurück und spätestens seit 1799 präsentieren sie ununterbrochen Hochseilartistik, zunächst noch in der badisch-elsässischen Gegend, später auf der ganzen Welt.
Die Aktivitäten der Familie lesen sich wie eine einzige Erfolgsgeschichte: Als eine der berühmtesten Artistenfamilien der Welt halten sie gleich mehrere Guinness-Weltrekorde, unter anderem ist Johann Traber der schnellste Artist seitdem er in Freiburg mit einem Auto eine Geschwindigkeit von 98 km/h auf dem Hochseil erreichte. Ihre Fähigkeiten konnten sie außerdem schon vor Prinzen und Königen, Scheichs und Vertreter der großen Politik präsentieren. Und auch mit Hollywood machte die Familie 1979 schon Bekanntschaft, als sie im James-Bond-Film „Moonraker – Streng geheim“ auftraten. Heute bieten sie neben ihren Hochseil-Shows auch Stunts für Film- und Fernsehproduktionen an.
Doch dieses „Leben am Abgrund“ kann auch seine Schattenseiten haben. „Es ist grausam, ich schaue da nicht zu“ sagte Johann Traber in Heidelberg als seine 25-jährige Tochter die Eisenstange erklomm. Auch nach fünfzig Jahren Erfahrung auf dem Hochseil hat er den Respekt vor dem Beruf nicht verloren und ist vor allem besorgt, wenn seine eigenen Kinder gefährliche Kunststücke vorführen. Und diese Sorge ist nicht unbegründet. Dies hatte die Vergangenheit schmerzlich gezeigt. 1996 stürzte Lutz Schreyer, Artistenkollege und Mitarbeiter seines Bruders Falko Traber, bei einem Weltrekordversuch ab und verstarb aufgrund seiner schweren Verletzungen im Krankenhaus. Und auch sein eigener Sohn, Johann Traber jr., verletzte sich am 21. Mai 2006 in Hamburg schwer, als er ein ähnliches Kunststück präsentierte wie seine Schwester Anna im Dokumentationszentrum Deutscher Sinti und Roma, doch der Mast plötzlich einknickte. Auch wenn er schon ein Jahr später wieder auf dem Seil stand, werden die durch den Unfall verursachten Sehstörungen noch einige Zeit beeinträchtigend wirken.
Doch auch neben der Gefahr, die der Artistenberuf ständig birgt, ist das Leben als Angehöriger der Minderheit der Sinti nicht immer leicht. Johann Traber bekannte im Interview mit der Südwest Presse, dass sie sich nach wie vor anders fühlten. Vor allem die ständigen Reisen mit der Familie hätten in seiner Schulklasse viel Unverständnis und Ablehnung hervorgerufen. Hinzu kommt auch sein äußeres Erscheinungsbild: „Mit meinen schwarzen Haaren und dem Schnurrbart erfülle ich das Klischee vollkommen.“ Doch vor allem über die Lage der Sinti und Roma in den osteuropäischen Ländern zeigte er sich besorgt, wo in den letzten Monaten Roma vom wütenden Mob drangsaliert wurden. „Es ist eine Schweinerei, was da passiert“, resümiert das Familienoberhaupt.
In Heidelberg verlief heute jedoch alles nach Plan. Unversehrt kletterte Anna Traber, nachdem sie ihre Kunststücke beendet hatte, unter Applaus des Publikums die Eisenstange hinunter und nahm einen Blumenstrauß von Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma entgegen. Und noch am gleichen Abend brach die Familie Traber, die gleich in drei Generationen anwesend war, zu ihren nächsten Shows auf. (Bericht von Thomas Lilienthal)