In das Sammellager am Hohenasperg verschleppten NS-Schergen am 16. Mai 1940 hunderte Sinti aus ganz Südwestdeutschland – darunter auch die Eltern und Geschwister von Ilona Lagrene. Drei Tage später begann die Deportation der Kinder, Frauen und Männer in die Gettos und Konzentrationslager im besetzten Polen.
„Das war ein Test für das Zusammenspiel zwischen Reichsbahn, Polizei und SS“, schilderte die Bürgerrechtsaktivistin und frühere Vorsitzende des Landesverbandes Deutscher Sinti und Roma Baden-Württemberg bei einem Rundgang durch die Heidelberger Altstadt. Gleichzeitig sei das Verhalten der Bevölkerung und der Kirchen angesichts dieser offensichtlichen Zwangsmaßnahme beobachtet worden. „Doch eine Reaktion blieb aus.“ Wohl auch deshalb konnte die rassische Verfolgung der Minderheit mit dem „Auschwitz-Erlass“ vom 16. Dezember 1942 ihren schrecklichen Höhepunkt erreichen. Damit befahl Heinrich Himmler die „Endlösung“ an allen noch im Reichsgebiet lebenden Sinti und Roma.
Vom Schicksal der Familien aus der Stadt am Neckar berichtete Ilona Lagrene den zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Der Rundgang startete in der Steingasse vor dem Sandsteinrelief, mit dem seit 1993 an die Heidelberger Opfer des NS-Völkermordes erinnert wird.
In den kleinen Häusern der Altstadt waren schon seit langer Zeit zahlreiche Sinti-Familien zu Hause, sie gingen von dort ihrer Arbeit nach und verdienten ihren Lebensunterhalt als Händler und Handwerker. Die meisten Männer hatten bereits im Ersten Weltkrieg und später auch im Zweiten Weltkrieg für Deutschland gekämpft. „Nicht wenige von ihnen haben als Frontkämpfer hohe Auszeichnungen erhalten“, sagte die Bürgerrechtsaktivistin.
Die systematische Vertreibung der Minderheit aus Heidelberg begann bereits Mitte der 1930er Jahre. Die meisten zogen nach Ludwigshafen. Dort mussten sie schwerste Zwangsarbeit leisten, bevor sie auf den Hohenasperg verbracht wurden. Vor ihren ehemaligen Wohnungen in der Steingasse, der Kleinen Mantelgasse und der Pfaffengasse erzählte Ilona Lagrene vom Schicksal der Familien Reinhardt, Lehmann, Winter und Steinbach. Während sie vor den Eingängen jeweils eine weiße Rose niederlegte, wurde nur zu deutlich: „Überleben war die Ausnahme.“
Sie selbst kam nach dem Zweiten Weltkrieg zur Welt und wuchs in unmittelbarer Nähe des Geburtshauses von Friedrich Ebert auf. Aus ihrer Familie kehrten über 20 Angehörige nicht aus den Vernichtungslagern zurück, beinahe ebenso viele litten Zeit ihres Lebens unter den Folgen der bestialischen Menschenversuche der Nationalsozialisten.