Veranstalter: Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma und Gesellschaft für Antiziganismusforschung
Datum: 29.11. bis 01.12.2012
Deadline: 30.04.2012
Der Antiziganismus ist ein weit verbreitetes, aber kaum erforschtes Phänomen, das gemeinhin als Bezeichnung für Rassismus gegenüber Sinti und Roma dient. Sinti und Roma leben seit Jahrhunderten in Europa. In ihren jeweiligen Heimatländern bilden sie historisch gewachsene Minderheiten, die sich selbst Sinti oder Roma nennen, wobei Sinti die in West- und Mitteleuropa beheimateten Angehörigen der Minderheit, Roma diejenigen ost- und südosteuropäischer Herkunft bezeichnet. Außerhalb des deutschen Sprachraums wird Roma als Name für die gesamte Minderheit verwendet. Der Begriff „Zigeuner“ ist dagegen eine in seinen Ursprüngen bis ins Mittelalter zurückreichende Fremdbezeichnung der Mehrheitsbevölkerung und wird von der Minderheit als diskriminierend abgelehnt. Wird er im Kontext historischer Quellen verwendet, so sind die hinter diesem Begriff stehenden Klischees und Vorurteile stets mit zu bedenken. Etymologisch ist der Begriff nicht eindeutig ableitbar. Er beinhaltet sowohl negative als auch romantisierende Bilder und Stereotypen, die real existierenden Menschen zugeschrieben werden. Daher ist der Begriff zuallererst ein Konstrukt. Der Antiziganismus wiederum ist eines der wirkmächtigsten Ressentiments in Europa. Das Phänomen ist vielschichtig, die Begrifflichkeit ebenso problematisch und unbestimmt wie der Versuch, das Phänomen inhaltlich zu definieren und in seiner Komplexität theoretisch zu erfassen.
Allein die Auswirkungen des Antiziganismus als Vorurteilsstruktur, Ideologie und rassistische Praxis auf die mit dem Stereotyp „Zigeuner“ assoziierten Gruppen sind allzu deutlich und betreffen die tägliche Lebensrealität von Europas größter Minderheit. Der Logismus Antiziganismus wird seit den achtziger Jahren in deutschsprachigen Beiträgen zur Verfolgung und Diskriminierung der Sinti und Roma verwendet. Inhaltlich wie wortschöpferisch steht er dem Begriff Antisemitismus nahe, weshalb er aus sich selbst heraus verständlich scheint und als politisches Schlagwort funktioniert.
Der aktuelle wissenschaftliche Diskurs greift in seinen Definitionsversuchen vielfach zu kurz, wenn er unter Antiziganismus nur Rassismus gegen Sinti und Roma versteht. Etwas diffenenzierter könnte man sagen, es handele sich um eine feindliche Haltung gegenüber Sinti und Roma auf Grund eines aus Stereotypen zusammengesetzten „Zigeuner-Bilds“, die von inneren Vorbehalten über offene Ablehnung, Diskriminierung, Diffamierung, Ausgrenzung, Vertreibung bis hin zur Tötung und Vernichtung einer mit diesem Zigeuner-Bild assoziierten Gruppe reicht. Eine wissenschaftlich fundierte Definition steht noch aus. Von den hieraus resultierenden Problematiken seien nur zwei genannt: Der Begriff Antiziganismus impliziert die Existenz eines „Ziganismus“, den es nicht gibt. Außerdem rekuriert er auf den von der diskriminierten Minderheit abgelehnten Begriff „Zigeuner“, unterstützt also scheinbar die Gleichsetzung des Konstrukts mit der real existierenden Gruppe von Menschen.
Dem Desiderat zu begegnen, das die Erforschung des Antiziganismus in seinen theoretischen und praktischen Facetten immer noch darstellt, ist Zielsetzung der interdisziplinären Tagung des Dokumentations- und Kulturzentrums Deutscher Sinti und Roma. Ausgangspunkt ist hierbei die These, dass sich der Begriff Antiziganismus nur bedingt eignet, um das zu bezeichnen versuchte Phänomen in seiner ganzen Vielschichtigkeit zu begreifen. Gerade deshalb gilt es jedoch, Stärken und Schwächen des Begriffs aufzuzeigen und das Phänomen weiter in all seinen Aspekten zu untersuchen sowie Handlungsoptionen aufzuzeigen, um ihm künftig wirkungsvoller begegnen zu können.
Die Tagung fokussiert zwei Leitthemen:
- Sektion 1 | Konkrete Formen und Ausprägungen des Antiziganismus- Schwerpunkte könnten u.a. sein: Antiziganismus in der Wissenschaft und in der Politik
- Sektion 2 | Theorien- Schwerpunkte könnten u.a. sein: Theoretische Erklärungsmodelle des Antiziganismus, relevante Aspekte aus der Rassismus- und Stereotypenforschung, Vergleiche zum Antisemitismus Abstracts
Die Einreichung der Abstracts (max. 1500 Zeichen) mit kurzer Vita bitte bis zum 30. April 2012 in elektronischer Form an folgende Adresse: beratung@sintiundroma.de Bitte ordnen Sie Ihr Abstract einem der zwei Themenschwerpunkte zu und machen Sie deutlich, ob es sich bei Ihrem projektierten Themenvorschlag um einen Originalbeitrag handelt. Die Rückmeldung über Annahme und Ablehnung der Abstracts erfolgt bis spätestens zum 30. Juni 2012. Eine spätere Veröffentlichung der Beiträge ist vorgesehen.
Kontakt: Jacques Delfeld Junior, Armin Ulm
Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma
beratung@sintiundroma.de