Der Zentralrat und das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma nahmen am 2. August 2018 unter der Leitung von Romani Rose mit einer Delegation von 50 Personen, darunter auch Überlebende des Holocaust, an dem Internationalen Roma-Gedenktag in Auschwitz-Birkenau teil.
Neben den Überlebenden waren zahlreiche Vorstände der Landes- und Mitgliedsverbände des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma bei dem Gedenkakt anwesend. Der Gedenktag wird vom Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma in Kooperation mit dem Verband der Roma in Polen vorbereitet. Viele Vertreter des diplomatischen Corps, sowie verschiedene internationale Delegationen waren anwesend.
Für die Überlebenden des Holocaust sprach Rita Prigmore. die als kleines Kind zusammen mit ihrer Zwillingsschwester Opfer medizinischer Versuche der Nazis wurde. Sie selbst überlebte, ihre ganze Familie wurde ermordet. In ihrer Ansprache appellierte sie als Überlebende des Holocaust an Politik und Gesellschaft für Menschlichkeit im Umgang mit Flüchtlingen:
„Wir leben in einer Zeit, in der Politiker Mauern bauen, um Wählerstimmen zu gewinnen. Politiker werfen den Menschen, die aus großem Elend zu uns kommen, vor, den Sozialstaat zu missbrauchen und „Asyl-Tourismus“ zu betreiben. […] Sie sagen uns, dass unser Leben sicherer wäre, wenn wir uns von den anderen trennen und dass wir Flüchtlinge zurückschicken sollten, um unser Glück und unseren Wohlstand zu sichern. Meiner Meinung nach ist das falsch! Wir müssen uns menschlich zeigen und ein Europa aufbauen, das ein menschliches Herz hat!“
Beate Klarsfeld unterstrich die gemeinsame Verfolgung von Sinti und Roma wie von Juden durch die Nazis, beide Gruppen seien aus den gleichen rassistischen Gründen und mit den gleichen Methoden verfolgt und ermordet worden. Für beide Minderheiten gelte aber auch, daß sie bis heute durch gewaltbereiten Antisemitismus und Antiziganismus bedroht sind:
„Wenn dann auch Repräsentanten wie zum Beispiel der italienische Innenminister fordern, Sinti und Roma in Italien wieder gesondert zu erfassen, und wenn er dann bedauert, daß er diejenigen, die italienische Staatsbürger sind, wie er sagt ‚leider behalten müsse‘, dann steht er damit in einer Tradition von Erfassung und Deportation, die sehr an die Zeit des Faschismus erinnert.“
Dunja Mijatović, Menschenrechtskommisarin des Europarats, betonte in ihrer Rede, ein Besuch des staatlichen Museums Auschwitz-Birkenau, rufe nicht nur die Pflicht des Erinnerns ins Gedächtnis, sondern vermittle das Gefühl, im Sinne dieses Erinnerns handeln zu müssen, „um der gegenwärtigen und den zukünftigen Generationen zu helfen, sich den Vorurteilen und dem Hass entgegen zu stellen, die den Holocaust möglich gemacht haben und die so viel Leid über unsere Mitmenschen gebracht haben, nur weil sie Juden, Roma oder in anderer Weise als nicht in die monströsen Pläne des Nazi-Regimes passend angesehen wurden.“
Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, begrüßte insbesondere die große Zahl an jungen Teilnehmern:
„Es freut mich zu sehen, dass über 250 jungen Roma aus zwanzig Ländern Europas hierher zu dieser Gedenkfeier gekommen sind. Damit setzen sie ein klares Zeichen für unsere gemeinsamen europäischen Werte. Es ist wichtig für uns alle, dass alle unsere jungen Leute ihre Geschichte kennen, um Verantwortung für die Gegenwart übernehmen zu können. Dies ist vor allen Dingen auch ein klares Signal gegen den zunehmend gewaltbereiten Antiziganismus und den krankhaften Nationalismus, die in Europa grassieren.“
Rose teilte ausdrücklich die Kritik von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier und dem Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, Andreas Voßkuhle, an der zunehmenden Verrohung der Sprache, insbesondere der Hate-Speech im Internet. „Hier sollen durch gezielte rechtsextreme Provokationen die Grenzen des Rechtsstaats verschoben und aufgehoben werden. Es ist fatal und eine zusätzliche Bedrohung unserer Demokratie und unserer Werte, wenn dann auch noch Politiker aus demokratischen Parteien versuchen, diese Extremisten rechts zu überholen. Das zerstört unsere christlichen Werte und unterminiert unseren Rechtsstaat“, so Rose.
Zum Hintergrund:
Die Nationalsozialisten verschleppten von März 1943 bis Juli 1944 23.000 Roma und Sinti aus elf Ländern Europas nach Auschwitz. Nahezu alle fanden dort den Tod. Am 2. August 1944 wurden die im Lagerabschnitt B II e des Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau verbliebenen 2.900 Sinti und Roma ermordet. Ein vorangegangener Versuch, 6.000 Roma und Sinti in die Gaskammern zu bringen, scheiterte am 16. Mai 1944 an dem Widerstand der Häftlinge. In den darauf folgenden Wochen wurden 3.000 der an dem Aufstand beteiligten Häftlinge bei Selektionen von SS-Ärzten als „noch arbeitsfähig“ eingestuft und zur Sklavenarbeit in andere Konzentrationslager im Reichsgebiet verschleppt, nach Buchenwald, Mauthausen, Ravensbrück, Sachsenhausen und Dachau. Zurück in Auschwitz blieben 2.900 Roma und Sinti, überwiegend Kinder, deren Mütter und alte Menschen. Die SS ermordete sie in der Nacht vom 2. auf den 3. August in den Gaskammern und verbrannte die Leichen in einer Grube neben dem Krematorium V.