Bundespräsident Steinmeier bittet zum 40-jährigen Gründungsjubiläum des Zentralrats um Vergebung „für das zweite Leid der Sinti und Roma in der Nachkriegszeit“

Homepage mit Grußbotschaften seit 17 Uhr online

Logo 40 Jahre Zentralrat Deutscher Sinti und Roma

Den Völkermord an den Sinti und Roma Europas hat Bundeskanzler Helmut Schmidt am 17. März 1982 offiziell anerkannt – fünf Wochen nachdem sich der Zentralrat zum Dachverband der Minderheit in Darmstadt zusammengeschlossen hat. Zum 40-jährigen Bestehen der Bürgerrechtsbewegung betont nun Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in einer Videobotschaft:

„Unser Land steht in der Verantwortung, die Erinnerung an die Menschheitsverbrechen der Nationalsozialisten wachzuhalten. Das Denkmal, das hier in Berlin an die zwischen 1933 und 1945 ermordeten Sinti und Roma Europas erinnert, ist ein ständiger Auftrag an Staat und Gesellschaft.“

Das deutsche Staatsoberhaupt hebt gleichzeitig hervor, dass die rassistisch motivierten Ressentiments nach der Befreiung nicht verschwunden seien, dass Sinti und Roma auch in der jungen Bundesrepublik Ausgrenzung und Herabwürdigung erlebten.

„Behörden, Polizei und Justiz diskriminierten, stigmatisierten oder kriminalisierten Angehörige der Minderheit; in Wissenschaft, Politik und Öffentlichkeit wurde der Völkermord an den Sinti und Roma verschwiegen, verleugnet oder verdrängt; Ansprüche auf Entschädigung wurden lange, viel zu lange nicht anerkannt.“

Und der Bundespräsident fügt erstmals in dieser Deutlichkeit hinzu:

„Auch für dieses zweite Leid, das den Sinti und Roma in der Nachkriegszeit angetan wurde, will ich heute im Namen unseres Landes um Vergebung bitten.“

Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, sagte:

„Mit Frank-Walter Steinmeier hat zum ersten Mal ein deutsches Staatsoberhaupt die Verantwortung übernommen für die nach dem Krieg bruchlos fortgesetzte antiziganistische Diskriminierung der Sinti und Roma in unserem Land. Ich danke dem Bundespräsidenten für seine klaren Worte. Was nun folgen muss, ist eine intensive wissenschaftliche Auseinandersetzung mit diesem Leid, das Sinti und Roma in Deutschland in Behörden und Institutionen, aber auch in ihrem alltäglichen Leben, widerfahren ist.“

Als Vorsitzender vertritt Romani Rose seit der Gründung des Zentralrates, dem Landesverbände und regionale Vereine angehören, die Interessen der in Deutschland lebenden Sinti und Roma auf nationaler wie internationaler Ebene. Der Zentralrat kooperiert darüber hinaus mit Roma-Netzwerken in ganz Europa, setzt sich weltweit gegen die Unterdrückung von Minderheiten ein.

„Ich hätte mir zu Beginn unserer Arbeit nicht träumen lassen, dass es in der Bundesrepublik einmal solch ein breites Bündnis gegen Antiziganismus geben würde. Es ist die Anerkennung unserer hartnäckigen Bemühungen in einem Rechtsstaat, in dem vor dem Gesetz alle Menschen gleich sind“, zeigt sich Romani Rose auch dankbar für zahlreiche weitere eindeutige Bekenntnisse von Bundesratspräsident und Bundeskanzler, des baden-württembergischen Ministerpräsidenten, des Zentralrates der Juden in Deutschland, Vertretern der Katholischen Kirche und der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung sowie vieler weiterer Unterstützerinnen und Unterstützern, die heute ab 17 Uhr, am Vorabend des Welt-Sinti-und-Roma-Tages, auf der eigens eingerichteten Homepage abgerufen werden können.

Dort wird es ab 19 Uhr neben den Grußbotschaften zudem ein Livestream des Konzerts mit dem Hugo-Wolf-Quartett aus Wien geben. Sie spielen unter anderem das Stück „Imagined Memories“ des amerikanischen Komponisten Ralf Yusuf Gawlick, der selbst auch Roma-Wurzeln hat.

Der amtierende Bundesratspräsident Bodo Ramelow hebt in seiner Grußbotschaft hervor:

„Die Sinti und Roma sind seit Jahrhunderten Teil unseres Volkes und deswegen ist die permanente Diskriminierung, die ihre Menschen erleben mussten, die eigentliche Herausforderung, mit der wir uns auseinandersetzen müssen.“

Deshalb sei es auch so wichtig, „dass der Zentralrat immer wieder mahnend, warnend und auch aufmerksam macht, darauf hinweist, dass man in unserer Gesellschaft darauf achten muss, wie die Mehrheitsgesellschaft mit ihrer Minderheit umgeht“.

In den 1970er Jahren ist Bundeskanzler Olaf Scholz zum ersten Mal als junger Mann mit der Kultur der Sinti und Roma in Berührung gekommen. Das Jazz-Ensemble um den Gitarristen Häns’che Weiss hatte damals den Deutschen Schallplattenpreis gewonnen. Daran denkt Scholz in seiner Video-Botschaft zurück, mit der er dem Zentralrat und seinem Vorsitzenden Romani Rose zu 40 Jahren Bürgerrechtsarbeit gratuliert. Für den SPD-Politiker hat die Arbeit des Zentralrates „unser Land nachhaltig verändert“. Er erinnert an das „ungeheuerliche Unrecht“, das Sinti und Roma zugefügt wurde, aber auch an die „massiven Widerstände“, welche die Überlebenden und Hinterbliebenen in Deutschland überwinden mussten, damit ihre Leiden anerkannt werden – und die heute noch gegen „hartnäckige Vorurteile“ kämpfen müssen. „Die Bundesregierung geht entschlossen gegen jede Form von Rassismus und Antiziganismus vor. Und ich bin froh, den Zentralrat und Sie alle dabei an unserer Seite zu wissen“, so der Regierungschef.

Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann betont, dass „Antiziganismus kein überwundenes Phänomen der Vergangenheit ist“. Dem Zentralrat und Romani Rose dankt er für die „geduldige und hartnäckige Arbeit“ und die „vielen Früchte des bürgerschaftlichen und bürgerrechtlichen Einsatzes“. Und verweist darauf, dass Baden-Württemberg als erstes Land in Deutschland im Jahr 2013 einen Staatsvertrag mit den Sinti und Roma geschlossen hat und in Heidelberg bundesweit die erste „Forschungsstelle Antiziganismus“ ihren Sitz hat.

Der Präsident des Zentralrates der Juden in Deutschland, Josef Schuster, sieht vor allem Romani Rose und dessen „unermüdliches Engagement“ der vergangenen 40 Jahre im Vordergrund. „Er übernahm Verantwortung und engagiert sich seit Jahrzehnten mit bewundernswerter Energie für eine freie und weltoffene Gesellschaft.“ Für ihn ist es ein „gemeinsamer Auftrag“, sich in Erinnerung des Holocaust „Hand in Hand“ für „Demokratie und Menschenrechte sowie gegen Menschenfeindlichkeit einzusetzen“.

Und seitens der Katholischen Kirche legt der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Bischof Georg Bätzing, ein in dieser Form noch nie gehörtes Schuldeingeständnis ab, nachdem er dem Zentralrat dankt, dass er „in der breiten Öffentlichkeit den entsetzlichen Völkermord“ bewusst gemacht hat. Georg Bätzing:

Die Katholische Kirche hat in nationalsozialistischer Zeit zu dem Völkermord an Roma weitgehend geschwiegen. Damit haben wir als Katholische Kirche große Schuld auf uns geladen. Und es gehört für mich an einem Tag wie heute dazu, mich zu dieser Schuld noch einmal ausdrücklich zu bekennen. Die Schuld ist nicht wiedergutzumachen“.

Er betrachtet es daher als Aufgabe der Kirche an, Sinti und Roma auf ihrem Weg zu einer „nicht nur anerkannten“, sondern „auch geachteten Minderheit in unserer Gesellschaft“ zu unterstützen.

Auch Jesse Jackson, der große Mann der US-Bürgerrechtsbewegung, den Romani Rose 2019 nach Auschwitz-Birkenau eingeladen hatte, gratuliert mit bewegenden, sehr persönlichen Worten: „Ihr weltweites Engagement freut mich sehr. Arbeiten Sie weiterhin daran, unseren Schmerz in Stärke zu verwandeln“ – nämlich eine Stärke gegen Antiziganismus, Antisemitismus, Faschismus und Rassismus. „Behalten Sie Ihr Ziel fest im Auge und lassen Sie sich von niemandem davon abbringen.“

Weitere Grußbotschaften, die auf der Homepage aufrufbar sind, kommen von der Präsidentin des Europäischen Parlaments, Roberta Metsola, Roman Kühn, dem Direktor der Gesellschaft für bedrohte Völker, von Gitte Hougaard-Werner für den Minderheitenrat, von Bernd Fabritius, dem Beauftragten der Bundesregierung für Aussiedlerfragen und nationale Minderheiten, sowie von der Vorsitzenden der Evangelischen Kirche Deutschlands, Annette Kurschus.

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