Am 23. März 2017 besuchte Guy Stern das Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma. In einer Gesprächsrunde berichtete der 95-jährige gebürtige Hildesheimer über seine Eindrücke nach dem Besuch der Dauerausstellung unseres Hauses, über seine eigenen leidvollen Erfahrungen mit der Nazi-Diktatur und seine Tätigkeit als Literaturwissenschaftler.
„Auch wenn man entkommt, hinterlässt die Erfahrung der Diktatur Spuren“, fasste Guy Stern seine ganz persönliche Erzählung am gestrigen Abend zusammen. Mit gerade einmal fünfzehn Jahren konnte Guy Stern mit Unterstützung seines Onkels vor den Nazis in die USA fliehen und fanden dort eine neue Heimat.
Um sich den Universitätsbesuch zu finanzieren arbeitete er dort zunächst als Kellner. Nach dem Angriff auf Pearl Harbour und dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg, meldete er sich zum Kriegsdienst. Als Mitglied der berühmten „Ritchie-Boys“ – einer Gruppe deutscher und österreichischer Exilanten – kehrte er in amerikanischer Uniform nach der Landung der Alliierten in der Normandie im Juni 1944 nach Europa zurück. Zusammen mit einer Vielzahl anderer deutschsprachiger jüdischer Emigranten sammelte er hier Informationen, die zum Sieg über das Nazi-Regime beitrugen. Nur wenige Wochen nach dem Kriegsende in Europa fuhr er in seine Heimatstadt Hildesheim. Dort erfuhr er, dass seine Familie ermordet wurde. Seine Eltern und seine jüngeren Geschwister starben im Warschauer Ghetto.
Nach dem Krieg studierte er Germanistik, wurde Professor für Deutsche Literatur an der Columbia Universität New York City und lehrte als Gastprofessor auch an verschiedenen deutschen Universitäten. Als Dozent war ihm stets wichtig, die Studierenden zu Diskussion und kritischem Hinterfragen zu motivieren: „Ich habe denen gesagt ‚The classroom is a clashroom‘ – dort müssen Meinungen aufeinanderprallen!“, so Stern über seine Credo als Lehrender.
Bis heute ist er weltweit aktiv: Unter anderem als Direktor des „International Institute of the Righteous“, als Vizepräsident der Kurt-Weill-Stiftung und insbesondere als ein Gesprächspartner für junge Menschen auf Vortragsreisen. „Dass Sie Ihre eigene bewegende, aber auch leidvolle Lebensgeschichte heute mit uns teilen und für Ihr langjähriges Engagement gebührt Ihnen unser aller Dank und Respekt“, so der Vorsitzender des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose.
Berichterstattung:
SWR Aktuell Baden-Württemberg: Fernsehbericht über Guy Stern aus dem Dokumentations- und Kulturzentrum Deutscher Sinti und Roma Heidelberg am 23.3.2017 (ab Minute 13:57).