In Bezug auf die Gedenk- und Bildungsreise Auschwitz 2012 fand im Oktober desselben Jahres das Nachbereitungsmodul statt. Es sollte nach eitlicher Distanz zur Begegnung mit dem historischen Ort der Konzentrationslager in Auschwitz neben einer rückblickenden Reflektion auch gegenwärtige Aspekte der Situation der Sinti und Roma in Europa sowie Perspektiven zivilgesellschaftlicher Handlungsmöglichkeiten thematisieren.
Durch die einmalige Möglichkeit, das Nachbereitungsmodul der Gedenk- und Bildungsreise mit der Teilnahme am Festakt zur Einweihung des Denkmals für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma zu verbinden, konnten für die Teilnehmenden Gegenwart und Vergangenheit nachdrücklich in Bezug zueinander gesetzt werden. Die Übergabe des Denkmals an die Öffentlichkeit durch die Bundesregierung unterstrich die gesamtgesellschaftliche Verantwortung gegenüber dem nationalsozialistischen Völkermord an der Minderheit.
Vor diesem Hintergrund wurde das am historischen Ort in Auschwitz initiierte Lernen sowohl um aktuelle Bezüge erweitert, als auch in ein konkretes Nachdenken über zivilgesellschaftliche Handlungsperspektiven gegen Vergessen, Rassismus und Gewalt übergeleitet. Abgerundet wurde das Programm durch einen Besuch des Reichstages, der den Teilnehmenden die Themenfelder Demokratie und politische Teilhabe greifbar machten.
Unsere ehemaligen Praktikanten Jonathan Prunzel und Laura Notheisen schildern hier ihre Erlebnisse:
Dienstag, 23. Oktober 2012
Wieder in den Osten, dieses Mal aber nicht nach Polen, sondern „nur“ nach Berlin, hieß es für unsere Gruppe, die sich schon während der Gedenk- und Bildungsreise nach Krakau und Auschwitz so gut verstanden hatte. Auf dem Programm stand, neben einem Nachbereitungsworkshop unserer Reise im Juli, auch die Denkmalseröffnung für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma. Nach einer fünfstündigen Zugfahrt kamen wir in Berlin an und tauschten uns bei einem polnischen Abendessen über unsere Erwartungen an die folgenden Tage aus.
Mittwoch, 24. Oktober 2012
In unmittelbarer Nähe zu Reichstag und Brandenburger Tor fand die Eröffnungszeremonie für das Denkmal statt. Nach der Einlasskontrolle setzten wir uns auf unsere zugewiesenen Plätze und warteten auf den offiziellen Teil der Eröffnung. Die Redner, unter ihnen der Staatsminister für Kultur und Medien Bernd Neumann, Berlins regierender Bürgermeister Klaus Wowereit, der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma Romani Rose, der niederländische Holocaustüberlebende Zoni Weisz und die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, dankten dem israelischen Künstler Dani Karavan für seine geleistete Arbeit und wiesen auf die historische Verantwortung hin, die durch das Denkmal ausgedrückt wird. Zoni Weisz, der seine persönlichen Erlebnisse während des Holocausts schilderte, mahnte, dass sich Geschichte wiederhole, wie aktuelle Ereignisse zeigen. Die historische Bedeutung des Denkmalsstandortes, mitten in Berlin, betonte Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel, indem sie darstellte, dass der Nationalsozialismus an diesem Ort begann.
Das Denkmal, eine runde Wasserschale, in deren Mitte eine versenkbare Stele platziert wurde, auf der jeden Tag eine frische Wildblume liegt, wird von dem Gedicht „Auschwitz“ von Santino Spinelli umrandet, das versucht die Geschehnisse in Worte zu fassen. Der Vorsitzende des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, Romani Rose, wies seinerseits auf die immer noch gegenwärtigen Probleme der Minderheit im Alltag hin. Zudem zeigte er sich betrübt, „dass viele von ihnen [den Opfern] den Tag der Eröffnung nicht mehr miterleben könn[t]en“. Der Porajmos, die Verfolgung der Sinti und Roma im Nationalsozialismus, wurde im Jahr 1982 durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt offiziell als Völkermord anerkannt.
Nach der Eröffnungszeremonie ging es für uns zum Bündnis für Demokratie und Toleranz, um im Rahmen eines Workshops zum Thema „Antiziganismus heute“ unsere Gedenk- und Bildungsreise zur KZ-Gedenkstätte Auschwitz nachzubereiten.
Mit Rahmann Satti, der auch unsere Reise begleitet hatte und Markus End, einem Berliner Antiziganismus-Forscher diskutierten wir anhand aktueller Beispiele über heutige Vorurteile der Mehrheitsbevölkerung gegenüber der Minderheit. Eindrucksvoll konnten wir feststellen, dass auch über 70 Jahre nach dem Nationalsozialismus, bewusst wie unbewusst, Vorurteile bestehen und diese auch durch die Medien reproduziert werden.
Abends waren wir zu einem Konzert des Kammerorchesters „Concerto Budapest“ mit anschließendem Empfang im Allianz-Forum eingeladen und konnten den Ausblick auf das Brandenburger Tor genießen.
Donnerstag, 25. Oktober 2012
Die Stiftung Topographie des Terrors, die auf dem Gelände des ehemaligen Reichssicherheitshauptamtes steht, war der Ort, an dem der zweite Teil der Nachbereitung stattfand. Dort wurden wir von Dr. Thomas Lutz kurz in die Entstehungsgeschichte der Stiftung eingeführt. Darauf folgte Agnes Daroczi, die uns über ihr bürgerrechtliches Engagement für die Roma in Ungarn aufklärte. Mit Rahmann Satti tauschten wir anschließend unsere Eindrücke zu Auschwitz aus. Zentral waren die Lehren, die man für sich selbst, sowie seine Umgebung ziehen kann. Die Jugendgruppe der Organisation „Amaro Drom“ veranstaltete am Denkmal eine Gedenkzeremonie, an der auch wir teilnahmen.
Besonders Interessierte konnten im Anschluss einem Vortrag des niederländischen Journalisten Aad Wagenaar folgen, der in den 1990er Jahren das Schicksal der Sintezza Settela Steinbach erforschte, deren Bild zum Symbol der nationalsozialistischen Verfolgungen wurde. Nach einem kurzen Besuch des Anne-Frank-Zentrums Berlin schlossen wir den Tag mit einem gemeinsamen Abendessen ab.
Freitag, 26. Oktober 2012
Nachdem wir ausführlich das Schicksal der Sinti und Roma studiert hatten, erfuhren wir nun beim Besuch des Denkmals für die ermordeten Juden Europas mehr über deren Schicksal. Grishan Zeller führte uns dabei in Konzeption und Geschichte dieses Ortes ein; im Anschluss hatten wir Gelegenheit selbstständig die Ausstellung hierzu zu besuchen. Eine Einführung in die heutige Parlamentsarbeit bekamen wir im Anschluss daran von einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin des Bundestagsabgeordneten Dr. Karl Lamers, für den Wahlkreis Heidelberg. Auch konnten wir von der Besuchertribüne des Bundestages einen Teil einer Plenarsitzung mitverfolgen und von der Kuppel des Reichstagsgebäudes den Ausblick über Berlin genießen.
Nach vier ereignisreichen Tagen machten wir uns auf den Weg zurück nach Heidelberg.