2013: „Dik i na bistar!“- Jugendkongress und Gedenkzeremonien in Kraków und Auschwitz

Vom 31. Juli bis zum 3. August 2013 fand in Kraków und der Gedenkstätte Auschwitz die Roma Genocide Remembrance Initiative statt: vier Tage Workshops, Diskussionen und Austausch, die schließlich in den Gedenkzeremonien am 2. August, dem Tag der „Auflösung des Zigeunerlagers“ durch die SS, in Auschwitz mündeten.

Die Initiative existiert seit 2010 und wird von dem internationalen Romajugendnetzwerk Ternype getragen. Ein erklärtes Ziel dieses Netzwerkes ist es, das Selbstbewusstsein junger Sinti und Roma zu stärken (Empowerment), um sie so zu aktiv Handelnden zu machen. In diesem Jahr war die Initiative zum ersten Mal in einen Jugendkongress unter dem Motto Dik i na bistar! – Look and don’t forget! eingebettet. Ziel dieser Veranstaltung war und ist es, einerseits an den Völkermord an 500.000 Sinti und Roma zu erinnern. Andererseits sollte die Verankerung des 2. August als internationalem Gedenktag im Bewusstsein einer breiten europäischen Öffentlichkeit, die diesen Tag bisher nur zögerlich wahrnimmt, eingefordert werden. Dieses Zögern ist zu einem großen Teil auf den nach wie vor bestehenden Antiziganismus zurückzuführen – dessen Thematisierung daher einen ebenso großen Raum der Initiative einnahm. In interaktiven Workshops, Gesprächen mit Zeitzeugen, einer öffentlichen Konferenz mit Politikern und den Gedenkzeremonien setzten sich die rund 400 jugendlichen Teilnehmer aus 15 europäischen Ländern mit dem Völkermord, den Kontinuitäten des Antiziganismus und den Strategien dagegen auseinander. 

Emran Elmazi, der nicht zuletzt als Vorsitzender des Vereins Amaro Drom e.V. den „Dik i na bistar!-Kongress“ maßgeblich mitorganisiert hatte, erklärte dazu:

„Zu einem Zeitpunkt, in dem die letzten Zeitzeugen dieser historischen Periode zu verschwinden drohen, ist es wichtig, unsere Strategien und Methoden bezüglich der Holocausterziehung zu verbessern. Wir stehen ein für eine europaweite offizielle Anerkennung des Roma-Genozids sowie für die Ernennung des 2. August als offiziellem Gedenktag des Roma-Genozids im Zweiten Weltkrieg.“

Mit Amaro Drom bestand in diesem Jahr eine Kooperationsvereinbarung, die die Grundlage für die Teilnahme einer Jugendgruppe des Dokumentationszentrums bildete. Finanziell unterstützt wurde die Fahrt freundlicherweise vom Bündnis für Demokratie und Toleranz.  Junge Sinti und Roma, sowie junge Angehörige der deutschen Mehrheitsgesellschaft bekamen so die Chance, mit nach Kraków zu fahren – so auch ich, der zu diesem Zeitpunkt gerade ein Praktikum im Dokumentationszentrum absolvierte.

Bericht von Nils Weigt:

Die deutsche Jugenddelegation fuhr am 30. Juli mit dem Bus von Freiburg über die Zustiegsorte Heidelberg, Fulda und Dresden nach Kraków, wo wir am späten Abend das Hotel, in dem sich bereits ein Großteil der Teilnehmer eingefunden hatte, erreichten. Am nächsten Morgen wurde der Jugendkongress offiziell eröffnet. Aktivisten von Ternype und der Holocaust-Überlebende Zoni Weisz, der uns die Tage in Kraków und Auschwitz begleitete, klärten über die Ziele und Hintergründe der Initiative und des Genozids auf. Daran schloss sich eine erste Workshop-Phase zum Völkermord an den Sinti und Roma an. Den Abend verbrachten wir im Jüdischen Museum Galizien im ehemaligen jüdischen Stadtteil Kazimierz. Dort erwarteten uns ein Empfang und ein von Aktivisten vorbereitetes Theaterstück zur Thematik. Im benachbarten Kitsch-Club ließen wir danach den Tag ausklingen. 

Der nächste Tag startete zunächst mit Workshops, deren Fokus auf Aktivismus und Veränderung ausgerichtet war, bevor am Nachmittag eine öffentliche Konferenz stattfand. Am Freitag, dem 2. August, erlebten wir die beiden zentralen Ereignisse dieser Reise: die seit vielen Jahren etablierte offizielle Gedenkzeremonie und die besonders eindrucksvolle, da von den jungen Aktivisten selbst organisierte und von über 400 jugendlichen Teilnehmern besuchte, Jugendgedenkzeremonie in Auschwitz-Birkenau. Hierfür versammelten wir uns zuerst an den Ruinen der Krematorien IV und V. Eine junge Roma-Frau trug ein Gedicht vor – eine weitere spielte Violine. Im Anschluss gingen wir gemeinsam an den heute so friedlich anmutenden kleinen Weiher, der in Wirklichkeit ein gewaltiges Grab ist, wurde doch die Asche der ermordeten Menschen in ihm versenkt. An diesem absolut unbegreiflichen Ort lauschten wir gebannt den Worten von Zoni Weisz – ein unvergesslich trauriger und zugleich kraftvoller Moment.

Danach begaben wir uns wieder zurück auf das Gelände des ehemaligen „Zigeunerlagers“. In der Nacht vom 2. August 1944 wurde es „aufgelöst“: Die SS ermordete in dieser Nacht die im Lager verbliebenen rund 2.800 Kinder, Frauen und Männer. Nach verschiedenen Ansprachen wurde gemeinsam die „Gelem-Gelem-Hymne“ angestimmt. Unter den Rufen der Ternype-Aktivisten „Dik i na bistar! – Look and don’t forget!“ liefen wir die Lagerstraße zurück zum Haupteingang, von dem aus die Busse nach Kraków zurückfuhren.

Der Vormittag des 3. August begann mit der Präsentation eines ARD-Beitrags, den ein Fernsehteam des Warschauer ARD-Studios während unserer Führung durch das Stammlager und später bei den Zeremonien in Birkenau produziert hatte. Verschiedene Teilnehmer der deutschen Delegation waren dafür interviewt worden. Anschließend stand eine Vortrags- und Diskussionsveranstaltung mit Romani Rose, dem Vorsitzenden des Zentralrats Deutscher Sinti und Roma, im Mittelpunkt. Bevor der Kongress offiziell beendet wurde, bildeten wir „Reflektionsgruppen“, um uns im kleinen Rahmen über unsere Erwartungen, die Erfüllung derselben, unsere Wünsche und Gefühle nach der Gedenkzeremonie auszutauschen. Ein Abschlussplenum mit der Reflektion unserer Eindrücke und einem offiziellen Dank an die zahlreichen ehrenamtlichen Helferinnen und Helfer beendete den Jugendkongress.

In den Morgenstunden des darauffolgenden Tages (4. August) fanden wir uns müde und erschöpft, und dennoch glücklich und dankbar diesen kraftvollen Ereignissen der Tage in Polen beigewohnt haben zu können, vor dem Hotel ein und fuhren zurück nach Deutschland. Wie sagte doch die Vertreterin der EU, Lina Papamichalopoulou, sehr bewegt während der Gedenkzeremonie:

„It is not the end. It is the end of the beginning.“


Es ist beabsichtigt, die Fahrt in ähnlicher Form im nächsten Jahr wieder durchzuführen. Sind Sie/ Bist Du interessiert? Dann freuen wir uns über eine Nachricht: andreas.pflock@sintiundroma.de

Weitere Informationen hier.